Was wir von den Griechen alles lernen können

Schäuble ist genauso unglaubwürdig wie Tsipras. Und Faymann verlangt von Griechenland Dinge, die für ihn hierzulande einfach undenkbar wären.

Ich übernehme die Verantwortung für einen Text, an den ich nicht glaube, aber den ich unterzeichnet habe...“ Diesen Satz sagte der griechische Regierungschef, Alexis Tsipras, Dienstagabend im griechischen Rundfunk. Am Vorabend der entscheidenden Abstimmung im griechischen Parlament mimt er den Märtyrer. Er habe bei den Verhandlungen in Brüssel quasi seine politische Überzeugung geopfert, „um ein Desaster für das Land zu verhindern“.

So sieht er also aus, der Leonidas des 21. Jahrhunderts. Er opfert sich und seine Getreuen gegen eine Übermacht, kämpft um Zeit – und hofft auf ein Erstarken der Linksparteien etwa bei den Parlamentswahlen in Spanien. Spott und Hohn erntet der vermeintlich siegreiche deutsche Finanzminister. Die „Süddeutsche Zeitung“ ortet „weltweiten Zorn über Deutschland“ und fürchtet, dass die Sparpolitik Wolfgangs Schäubles als „ökonomischer Nationalismus“ ausgelegt wird.

Ja, man kann Schäuble und der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel, vieles vorwerfen. Dass sie zu wenig Fingerspitzengefühl an den Tag gelegt haben, dass sie in den Verhandlungen oberlehrerhaft agiert haben mögen, dass sie – und vor allem er – sich so manches Bonmot à la „tausche Griechenland gegen Puerto Rico“ hätten sparen können. Nur ein Vorwurf ist in den vergangenen Tagen kaum bis gar nicht zu vernehmen gewesen. Dass Schäuble genau wie Tsipras eine Vereinbarung unterschrieben hat, von der er sich wenige Tage später ebenfalls distanziert hat. Erst am Dienstag verteidigte er nämlich seinen Vorschlag für einen Grexit auf Zeit, betonte neuerlich, dass dies „die bessere Lösung für Griechenland sein könnte“.

Wenn man Schäuble einen Vorwurf machen kann und muss, dann diesen: dass er am Ende die „bessere Lösung“ verworfen hat. Dass er bei den Verhandlungen in Brüssel auch seine Überzeugung geopfert hat. Was man Schäuble und Merkel mit Fug und Recht vorhalten kann: Sie haben für eine schlechte Lösung zu viel verbrannte Erde hinterlassen.

Womit wir bei den politischen Verbündeten des modernen Leonidas vulgo Alexis Tsipras wären. Bei Werner Faymann etwa, der einen Grexit auf Zeit als „entwürdigend“ bezeichnet hat. Und wie nennt er das, was gerade jetzt mit Griechenland passiert? Würdevoll? So würdevoll, wie eine politische Teilentmündigung eben aussehen kann.

Griechenland bekommt also neuerlich 85 Milliarden Euro und muss im Gegenzug Reformen beschließen. Und auch wenn die Differenz zwischen Beschließen und Umsetzen mindestens genauso groß ist wie zwischen Euro und Drachme, sollte man Kanzler Faymann trotzdem kurz daran erinnern, was er mit seiner Unterschrift unter die Brüsseler Verträge von den Griechen alles erwartet.

Da wäre einmal die Anhebung des Pensionsantrittsalters auf 67 Jahre. Wie formuliert es der liberale Thinktank Agenda Austria: „Andere Länder geben reihenweise Ratschläge, darunter auch Österreich. Das ist interessant, schließlich könnten gerade wir Österreicher von den Griechen einiges lernen.“

Österreich verlangt von Griechenland in Form von Faymanns Unterschrift Dinge, die hierzulande (leider) undenkbar sind: die Entpolitisierung und Privatisierung von Staatsunternehmen etwa. In Österreich geschah bekanntlich das Gegenteil, da wurden die staatsnahen Konzerne noch stärker an die politische Kandare – sprich ÖBIB – genommen. In Griechenland sollen die Ladenschlusszeiten völlig liberalisiert werden. In Österreich? Sonntagsöffnung? Brauch ma net!


Der Philosoph Thales von Milet wurde einst gefragt, was denn schwierig und was leicht sei. Schwierig sei, sich selbst zu erkennen, antwortete er. Leicht hingegen, anderen einen Rat zu geben. Wie man Unglück besser ertragen könne. Indem man seine Feinde in einer noch schlimmeren Lage sieht. Und wie man ein gutes und gerechtes Leben führt. „Indem wir, was wir an anderen tadeln, selbst nicht tun.“

Ja, wir alle können einiges lernen von den Griechen. Nicht nur Faymann, Schäuble, Merkel und Co.

E-Mails an:gerhard.hofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2015)

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