Flüchten und Wegducken ist keine Asyllösung

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Schon seit einem Jahrzehnt funktioniert die Quartiersuche für Asylwerber nicht. Es ist höchste Zeit, dass der Bund das selbst in die Hand nimmt.

Pech für die Österreicher und auch für Flüchtlinge, dass im Regelfall nur alle fünf (oder sechs) Jahre in ihrem Bundesland Nationalrats- oder Landtagswahlen auf dem Kalender stehen. Wie gerade das Beispiel Oberösterreich zeigt, das am 27.September wählt, macht Angst vor dem Zorn der Wähler und vor stummem Protest in der Wahlzelle Politikern schon Beine: Dort gelingt es zumindest, Zelte für Asylwerber abzubauen und feste Übergangsquartiere aufzutreiben. Leider wählt der Großteil der Österreicher auf Bundesebene und in den Bundesländern erst wieder frühestens 2018. Sonst würde die Bundesregierung mehr Nachdruck auf längerfristige Konzepte zur Bewältigung des Asylwerberandrangs und zur Beendung der chaotischen Zustände für Asylsuchende und die Bevölkerung in Traiskirchen legen.

Das ist absolut kein Einstimmen in den Chor jener Weltfremden, die Österreich taxfrei zum Hort von Rassisten erklären, nur weil Spitzenpolitiker und Bevölkerung mahnen, dieses Land könne diese Zahl an Menschen, die vor Krieg oder Terror geflohen sind, nicht aufnehmen. Es ist weiterhin notwendig, Brüssel und andere EU-Länder daran zu erinnern, dass die viel beschworene europäische Gemeinschaft nicht bei unangenehmen Problemen und Solidarität bei Finanzhilfen für Griechenland aufhört. Es ist geradezu ein Witz, dass weitere Beratungen über die Flüchtlingsaufteilung in Europa gleich auf Dezember dieses Jahres vertagt wurden.


Es strampeln sich auch Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, manche Gemeindepolitiker und die Hilfsorganisationen ab. Sie haben zusätzliche Quartiere und Personal organisiert. Auch Landeshauptleute haben schon ausgeholfen, wie Wiens Bürgermeister, Michael Häupl, im Herbst 2014 mit dem Großquartier in Wien-Erdberg oder zuletzt der Wiener Neustädter Stadtchef, Klaus Schneeberger, mit der Veranstaltungshalle Arena Nova.

Dennoch: Es bleibt bei der Bevölkerung der Eindruck, dass die Bundesregierung und allen voran die zuständige Innenministerin kopflos agieren – Stichwort Aufstellen von Zelten Mitte Mai oder der mit Getöse, aber ohne Konsequenzen geplatzte Asylgipfel im Kanzleramt. Auch die von Mikl-Leitner lang als großer Coup angekündigte Verlagerung der Verteilzentren in die Länder hat nichts geändert. Oder haben Sie davon seit 20.Juli etwas gemerkt? Dazu kommt, dass die Innenministerin von mehreren Landeshauptleuten aus ihrer Partei und Bürgermeistern im Stich gelassen wird.

Gerade von Mikl-Leitners Förderer, Niederösterreichs Landeshauptmann (ÖVP), Erwin Pröll, hätte man zur Entlastung Traiskirchens mehr erwartet. Warum hat er den Herren im Kreis der Landeshauptleute wegen der Flüchtlingsquartiere nicht stärker ins Gewissen geredet? Pröll war im ersten Halbjahr 2015 Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz, die sich, wenn es um das Durchboxen ihrer Anliegen geht, sonst auch zu helfen weiß. Noch dazu eilt Pröll der Ruf voraus, der mächtigste Schwarze überhaupt in der Republik zu sein. In Anlehnung an einen seinerzeitigen Wahlslogan erhebt sich die Frage: Wer, wenn nicht er, ist dafür prädestiniert?


Die Bundes-SPÖ macht es sich allerdings ebenfalls viel zu einfach, indem sie einen keifenden Justizsprecher auf die Innenministerin loslässt. Streit statt Strategie: Das hängt den Bürgern zu Recht zum Hals heraus. Egal, ob mit Richtlinienkompetenz wie in Deutschland oder (formal) ohne wie in Österreich: Die Leute erwarten sich von einem Bundeskanzler mit Format, dass er sich um derart wichtige Fragen kümmert. Werner Faymann hat die Innenministerin – und somit die Flüchtlinge derzeit in Traiskirchen – im Regen stehen lassen.

Die Asylquartiersuche funktioniert trotz Pakts bereits seit 2004 nicht. Also auch nicht unter weit weniger dramatischen Bedingungen. Der Bund muss das daher jetzt selbst in die Hand nehmen. Damit die ohnehin stark geschrumpfte rot-schwarze Große Koalition, die sich selbst bei jeder Gelegenheit als Säule der Republik feiert, noch irgendeine Existenzberechtigung hat. Vor Problemen flüchten und sich wegducken, das schaffen auch andere.

E-Mails an: karl.ettinger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2015)

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