Milliarden für Griechenland, als ob nichts gewesen wär'

Griechenland erhält wieder 85 Milliarden, verspricht wieder Reformen. Es wird wieder schiefgehen. Aber gemacht wird es – wider besseres Wissen.

Angenommen, Herr Griechenland geht in eine Bank und wünscht sich einen Kredit über 85 Milliarden Euro. Der Banker gibt das Geld her, obwohl noch eine alte Schuld über knapp 330 Milliarden offen ist, obwohl die bisher geforderten Restrukturierungen des Unternehmens Griechenland nicht stattgefunden haben, obwohl der Banker weiß, dass mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch künftige Sanierungsschritte nicht gemacht werden. Was würde mit diesem Banker passieren? Falsche Antwort: Er stünde wegen Untreue vor Gericht. Richtige Antwort: Nichts. Er wird den Kredit abschreiben und ihn der Allgemeinheit in Rechnung stellen.

Genau das passiert gerade in Athen. Und es ist mit Verblüffung festzustellen, mit welcher Geschwindigkeit und Stille das dritte Hilfspaket – ja fast schon abgenickt worden ist. Als ob nichts gewesen wär'. Als ob die ganze Aufregung vor etwas mehr als einem Monat nie stattgefunden hätte. Das griechische Referendum, die Zerreißprobe innerhalb der Euroländer. All die Sorgen werden wieder zugedeckt. Mit ungedeckten Schecks – besser gesagt: mit von Steuerzahlern gedeckten Blankoschecks.

Warum geschieht das alles? Weil es für alle die bequemste Lösung ist. Das war schon damals so, als man Griechenland in die Eurozone ließ. Hätte man damals Griechenland infrage gestellt, hätte man auch die Euro-Tauglichkeit Italiens und Spaniens hinterfragen müssen. Und das wäre politisch äußerst unbequem gewesen. Und an dieser Einstellung hat sich offensichtlich nichts geändert.

Die Euroländer gewähren das nächste Hilfspaket für Griechenland, weil sie es sich – noch – leisten können. Weil Griechenland in Wahrheit nicht viel mehr als ein Rundungsfehler in der europäischen Wirtschaftsbilanz ist. Und vielleicht steckt in dieser nüchternen Wahrheit auch ein Funken Trost. Denn die Angst vor einem Wiederholungsfall etwa in Spanien oder Italien ist wohl unbegründet – weil unfinanzierbar.

Zurück zu Griechenland: Das Land bleibt weiterhin im Euro gefesselt. Mit dieser Fessel wird es nicht gelingen, die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Apropos: Schon einmal versucht, typisch griechische Spezialitäten in einem österreichischen Supermarkt zu kaufen? Kein Problem: Schafkäse, Zaziki, Ouzo – alles da. Nur nicht in Griechenland hergestellt. Meistens kommen diese typisch griechischen Produkte aus Deutschland. Selbst die Sommerhitze machen wir uns mittlerweile selbst. Und wenn Griechenland nicht einmal mehr beim Zaziki wettbewerbsfähig ist, wie soll es dann mit Industrieprodukten konkurrenzfähig werden? Zumal die Industrieproduktion Griechenlands infolge der Finanzierungsengpässe in den vergangenen Monaten dramatisch gesunken ist.

Immerhin steht in dem Papier, das zwischen der griechischen Regierung und den Gläubigern ausverhandelt worden ist, dass Privatisierungen in Höhe von 50 Milliarden Euro zu erfolgen haben. Mit anderen Worten: Mehr als die Hälfte der 85 Milliarden fließt ohnehin gleich wieder per Privatisierungen zurück. Einziger Haken daran: Experten, wie etwa dem österreichischen Ökonomen Christian Helmenstein, ist schleierhaft, wie dieser Betrag zustande kommen soll. Helmenstein hat vor einem halben Jahr in einer Studie das Privatisierungspotenzial Griechenlands erhoben. Er kam auf sieben Milliarden Euro. Grund: Mit griechischen Staatsunternehmen verhält es sich nicht viel anders als mit manchen Staatsunternehmen hierzulande: Man will sie nicht einmal geschenkt. Griechenland müsste also schon die eine oder andere Urlaubsinsel verscherbeln, um auch nur annähernd auf 50 Milliarden Euro zu kommen. Santorin zum Schnäppchenpreis?


Ja, Griechenland ist ein schwieriger Patient. Und die griechische Politik hat in der Vergangenheit auch wenig dazu beigetragen, den Gesundheitszustand zu verbessern. Aber schön langsam sollten wir uns auch Gedanken über die Ärzte machen, die zum dritten Mal – wider besseres Wissen – die Geldspritze zücken. Allmählich wird es Zeit, die Haftungsfrage für Politiker zu diskutieren – nicht nur in Griechenland.

E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2015)

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