Das System Österreich funktioniert nicht mehr

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Machtvakuum an der Spitze, Versagen angesichts der Flüchtlingskatastrophe, Wirtschaftsflaute: Vielleicht sollte Österreich eine Entscheidung treffen.

In junger Tradition werden in dieser Zeitung im Vergleich zu anderen Medien nur selten Umfragen abgedruckt. Aus gutem Grund: Zu klein ist meistens die Zahl der Befragten, zu unseriös die (Hoch-)Rechnung, zu irrelevant sind die Aussagen. Hysterische Reaktionen, PR-Politik und dramatische Titel überlassen wir gern dem Kanzleramt und seinen Boulevardmedien. Zudem wäre es für eine nachhaltig agierende Politik unmaßgeblich, ob sie eine Mehrheit und die ersten Plätze hätte, würde am kommenden Sonntag der Nationalrat gewählt werden. Am nächsten Sonntag wird nämlich nicht gewählt, sondern in drei Jahren. Jetzt wäre es an der Zeit, etwas zu tun. Auch Unpopuläres. Oder zumindest irgendetwas.

Wenn aber nun seriöse Meinungsforschungsinstitute, meist im Auftrag politischer Parteien und daher unveröffentlicht, bei 1000er-Sample-Umfragen die FPÖ über Wochen stabil und mit deutlichem Abstand vor beiden Regierungsparteien sehen, dann sollte sich Werner Faymann als Letztverantwortlicher der Republik ein paar Fragen stellen: Bin ich der Richtige für den Job? Mache ich etwas gegen die Krisen? Und mache ich das Richtige? Faymann intoniert im Duett mit Josef Ostermayer ein lautes Ja. Nicht nur an dieser Stelle wurde und wird dagegen ein höflich und wohlargumentiertes Nein formuliert. Ob Werner Faymann der richtige SPÖ-Chef (und damit Kanzler) ist, muss aber ohnehin die langsam erodierende Partei selbst klären (müssen). Nach den für sie vermutlich verheerenden Wahlen in Oberösterreich und Wien werden die Sozialdemokraten dafür Zeit und Gelegenheit finden.

Neben der Faymann-Frage – aber natürlich nicht unabhängig von ihr – wird dieser Tage angesichts der Flüchtlingskatastrophe, der anhaltenden Wirtschaftsflaute und des empörenden Stillstands in der Bildungspolitik klar, dass das System Österreich und der Staat plötzlich nicht mehr so recht funktionieren. Daran sind prinzipielle Konstruktionsfehler der Republik schuld. Aber vor allem auch tiefes Misstrauen und die gegenseitige Ablehnung der beiden Regierungsparteien und zahlreiche persönliche (offene) Rechnungen, Egoismen und gnadenlose Klientelpolitik.

Nehmen wir die Flüchtlingsfrage: Was in Traiskirchen passiert ist, fällt unter Versagen des Staats, seiner Organe und unserer Struktur. Wenn Tausende in einem Lager so untergebracht sind wie Menschen zuletzt in der Nachkriegszeit, muss man am Krisenmanagement aller Beteiligten verzweifeln. Die nächste Zuspitzung kommt spätestens mit Schulanfang. Dann werden die Länder die Flüchtlinge aus Schulen in andere Quartiere bringen, in dieser Zeit werden sie organisatorisch keine weiteren aufnehmen können und wollen. Dem Innenministerium wird das so nicht kommuniziert, oder es wird dort absichtlich missverstanden. Wie in der Quotendiskussion und in Geschichten über Genehmigungen für Quartiere wird ein österreichisches Urvertrauen erschüttert: Offenbar arbeitet die Bürokratie intensiv an der Schaffung von Problemen, nicht an deren Lösung.


Ein mitunter ungeliebter Garant unserer Stabilität wird ebenfalls zunehmend überflüssig bis ineffizient. Die Sozialpartner, die väterlichen Begleiter von einstigem Wirtschaftswunder und noch immer prallem Wohlfahrtsstaat, funktionieren nicht mehr. Daran ist auch die abgenützte Koalition aus SPÖ und ÖVP schuld. So wertvoll und ausgleichend eine vernünftige Entscheidungsebene aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern sein kann, wenn entweder eine agile Rechts- oder eine Links-Regierung am Ruder ist, so sinnlos ist sie offenbar, wenn sich Wirtschaftsbund und Gewerkschaft ohnehin in Nationalrat und im Ministerrat genervt gegenübersitzen. Dringend notwendige, ohnehin winzige Reformen (Arbeitszeitflexibilisierung, Minipensionsreform mittels Bonus-Malus-Systems für Ältere etc.) werden blockiert, weil keiner dem anderen den Erfolg gönnen will. Die starre Haltung der Gewerkschaft wiederum rührt vom SPÖ-Vakuum an der Spitze.

Zuzulassen, dass Österreich weiter demontiert wird, ist aber nicht akzeptabel. Vielleicht wäre eine Nationalratswahl an einem Sonntag im Herbst doch ein idealer, letzter Weckruf.

E-Mail an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2015)

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