Wenn Appelle nicht helfen,...

...dann muss man zeigen, dass sich Einsatz letztlich auch lohnt. Man muss die »unsolidarische Kettenreaktion«, die Europas Asylpolitik derzeit kennzeichnet, rasch unterbrechen.

Wie viele tote Flüchtlinge braucht es, bis sich die Staatengemeinschaft – jene der EU, aber auch die weltweite – durchringt, das Problem effektiv anzugehen? Die zynische Antwort auf diese zynische Frage lautete bisher stets: Noch mehr.

Insofern fällt es einem nicht leicht, sich jenen anzuschließen, die glauben, dass das entsetzliche Ende von 71 Menschen auf der burgenländischen A4 bewirken wird, wofür tausende Ertrunkene im Mittelmeer nicht ausgereicht haben. Man würde zwar gern hoffen, dass es zum Drehmoment wird, vielleicht, weil so ein Drama in der Mitte Europas, auf festem Grund, schwerer zu verkraften ist als an seinem südlichen Rand, auf unruhiger See. Doch die Erfahrung spricht für etwas anderes: dafür, dass – nach dem ersten Schock – der Erstickungstod im Lkw zu einer weiteren, bald typischen Facette des Flüchtlingselends wird. Zumal er das eigentlich schon länger ist: Just vergangenen Freitag etwa wurde in Korneuburg ein Schlepper verurteilt, weil er 24Männer, zwölf Frauen und 18 Kinder auf acht Quadratmetern gedrängt in einem Kastenwagen transportiert hatte. Zwei Menschen waren infolge Sauerstoffmangels kollabiert. „Es war nur ein Zufall, dass niemand gestorben ist“, so der Richter.

So sieht es also auf unseren Autobahnen aus. Vermutlich täglich. Aber was bedeutet es nun, wenn man nicht mehr so recht glauben kann, dass Appelle und Betroffenheit nachhaltige Konsequenzen zeitigen? Resignation? Warten auf noch mehr Tote? Vielleicht muss man es mit prinzipiellem Umdenken probieren: Das deutsche Wirtschaftsmagazin „Brand eins“ widmet seine aktuelle Ausgabe dem Pragmatismus – ein Begriff mit scheußlich schlechtem Ruf, besonders, wenn es um die sensiblen Bereiche des Lebens geht. Dabei würde die Kernbotschaft, die der Wirtschaftsethiker Karl Homann formuliert, gerade in der Flüchtlingsdebatte ein Stück helfen. Sie lautet: Ethisches Verhalten muss sich lohnen.

Lohn darf sein. Das wird jene zwar entsetzen, für die Hilfsbereitschaft nur ohne Hintergedanken denkbar ist, aber tatsächlich ist „Belohnung“ – und mag sie „nur“ in gerechter Aufteilung der Aufgaben bestehen – eine viel tragfähigere Basis für Hilfe als eine große, aber vielleicht bald erschöpfte Emotion. Denn Homann beschreibt nicht, wie Menschen und Staaten sein sollten, sondern wie sie (langfristig) sind. Und wer etwas erreichen will, sollte diese Realitäten berücksichtigen. Das Elend der europäischen – und manchmal der heimischen – Asylpolitik ist, dass dieses Prinzip brutal umgekehrt wird: Jene, die helfen (müssen), werden mit den daraus resultierenden Problemen oft weitgehend alleingelassen und bilden in Folge ein abschreckendes Beispiel für alle anderen: Das gilt für die Zustände auf Lampedusa und Kos, die in vielen Staaten eher das Bedürfnis ausgelöst haben, die Grenzen dicht zu machen, als eine faire Quote an Asylwerbern aufzunehmen. Auch das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen bewirkte lang weniger Hilfsbereitschaft denn einen „Bloß nicht zu uns“-Reflex bei Bürgermeistern.

Traurig, aber logisch: Denn wer das Gefühl hat, dass nicht nach gerechten Regeln gespielt wird, spielt erst gar nicht mit. Man könnte das eine „unsolidarische Kettenreaktion“ nennen. Die man umkehren muss. Werner Faymann hat dazu einen brachialen Vorschlag gemacht: Nettoempfänger-EU-Ländern (etwa Polen) sollen Förderungen vorenthalten werden, solange sie sich gegen eine Quotenlösung wehren. Klingt plausibel, ist aber wohl nicht machbar, da es für so eine „Strafaktion“ die Zustimmung der betroffenen Länder brauchte. Bescheidener ist ein Vorschlag, den der „Spiegel“ macht: Man solle Kommunen via Wettbewerb animieren, Flüchtlinge aufzunehmen. Wer ein gutes Konzept vorlegt, bekommt logistische und finanzielle Unterstützung – und kann dann vielleicht auch das Seniorenzentrum renovieren oder ein neues Schwimmbad bauen. Ein Schwimmbad im Tausch für Flüchtlinge– das klingt banal und berechnend. Aber es klingt, als könnte es funktionieren. Und darauf kommt es an.

ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.08.2015)

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