Vertragsloser Zustand, Drohung, die 657.

Die Ärztekammer, Österreichs wahrscheinlich veränderungsresistenteste Interessenvertretung, spielt wieder einmal ihr übliches Spielchen.

Das Problem wird – auch aufgrund des anhaltenden Flüchtlingszustroms – von selbst kein geringeres werden: Die Ambulanzen sind überfüllt und überlastet. Der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund ist hier, zumindest in den Ballungsräumen, überproportional hoch. Denn es sind eher Menschen aus sozial schwachen Schichten, die eine Ambulanz aufsuchen, und dazu zählen eben Zuwanderer in besonderem Maß. Zudem ist es für viele der naheliegendere Weg in einem mehr oder weniger fremden Land. Abgesehen davon, dass das Hausärztesystem in den meisten Herkunftsländern nicht so ausgeprägt ist wie bei uns.

Andererseits sind aber nicht nur die Ambulanzen, sondern auch viele niedergelassene Ärzte sehr gut ausgelastet. Weswegen die Regierung auf die Idee gekommen ist, eine Art Zwischenmodell einzuführen, das es im angelsächsischen und skandinavischen Raum bereits gibt: Erstversorgungszentren, auf Neudeutsch Primary Health Care (PHC). Dort, in einer Art erweiterten Gruppenpraxis, werden dann nicht nur Ärzte tätig sein, sondern auch diverse Therapeuten, Pfleger, Psychologen, Ernährungsberater. Und zwar mit längeren Öffnungszeiten – im Idealfall auch an Wochenenden.

Wie der Name schon sagt, sollen die PHC-Zentren die ersten Anlaufstellen im Gesundheitssystem neben den Hausärzten sein. Das missfällt erwartungsgemäß der Vertretung der niedergelassenen Ärzte in der Ärztekammer. Weswegen diese nun damit droht, die Verträge mit den Krankenkassen zu kündigen.


Im Vergleich zur Ärztekammer ist der ÖGB ein flexibles, Neuem überaus aufgeschlossenes Unternehmen. Österreichs wahrscheinlich veränderungsresistenteste Interessenvertretung – gemeint ist jetzt die Ärztekammer – tritt stets nach dem gleichen Muster auf: Sie ist zuerst einmal dagegen (und zwar nahezu gegen alles, was der Politik als Neuerung vorschwebt – von der E-Card über Elga bis zur Begrenzung der Arbeitszeiten). Und droht dann mit einem vertragslosen Zustand. Meist nur auf Länderebene, nun auch im Bund.

Und nimmt dabei natürlich auch den Patienten in Geiselhaft: Wenn die Regierung respektive die Krankenkasse nicht springt, dann muss der Patient – obwohl er brav seine Krankenversicherungsbeiträge abliefert – eben selbst zahlen. Pech gehabt. Soll er sich halt bei der Krankenkassa oder den Politikern beschweren.

Wobei in der Realität dann freilich nie so heiß gegessen wie gekocht wird – man kennt das ja auch von den Kollektivvertragsverhandlungen anderer Branchen: Am Ende wird dann doch nicht gestreikt oder selbst bezahlt, sondern es gibt irgendeine Art von Kompromiss.

So wird es wohl auch jetzt sein. Denn die Verhandlungen zwischen dem Gesundheitsministerium und der Ärztekammer haben ja noch nicht einmal begonnen. Nicht einmal der Gesetzesentwurf ist noch fertig. Was die Ärztekammer allerdings nicht davon abhält, sicherheitshalber schon einmal vorab den Holzhammer auszupacken.

Konkret stößt sich die Ärztekammer vor allem daran, dass es neben dem Gesamtvertrag zwischen Ärzten und Krankenkassen künftig separate Verträge mit den Ärzten in den Primary-Health-Care-Zentren geben könnte. Eine Horrorvorstellung – für die Ärztekammer. Denn da wäre sie nicht mehr eingebunden. Im Kammernstaat Österreich natürlich undenkbar.

Zudem treibt die Ärztekammer die Sorge um, der Hausarzt könnte abgeschafft und durch Zentralismus und „anonyme Gesundheitsgroßinstitutionen“ ersetzt werden. Das wäre in der Tat nicht wünschenswert. Und ist auch nicht im Sinne des Erfinders. Denn dieser will ja in erster Linie die „Gesundheitsgroßinstitution“ Ambulanz entlasten. Zumal die gesamte zwischen Bund, Ländern und Kassen vereinbarte Gesundheitsreform darauf abzielt, den niedergelassenen Bereich zu stärken.

Ob dies alles auch funktioniert, weiß heute freilich kein Mensch. Nur die Ärztekammer weiß heute schon, dass das alles nicht funktionieren wird. Die Kassandra im weißen Kittel als Allegorie hat den Äskulapstab hierzulande abgelöst.

E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2015)

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