Deutschland gibt uns unsere Verantwortung zurück

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Die Regierung Merkel schließt das Zeitfenster. Österreich, bisher engagierter Zaungast, muss Farbe bekennen. Ein Grenzgang zwischen Gefühl und Verstand.

Österreich hatte bis jetzt eine – relativ – bequeme Rolle in der aktuellen Flüchtlingskrise: Die Flüchtlinge wurden verpflegt, unser Ansehen in der Welt stieg, doch letztlich wurden sie nach Deutschland weitergereicht. Auch die Politiker gefielen sich in dieser humanistischen Pose, die es ihnen auch erlaubte, auf die herzlosen Ungarn herabzublicken.

Es war – absehbar – ein wenig voreilig. Denn die Deutschen tun nun das, was auf Dauer nicht zu vermeiden war: Sie schließen jenes Zeitfenster wieder, das sie ein wenig unbedacht, weil zu ungestüm, geöffnet hatten. Als Angela Merkel verkündete, Deutschland setze das Dublin-Abkommen außer Kraft, war das natürlich ein Signal an all jene, die ihre Heimat verlassen wollten oder mussten. Das Kleingedruckte sah sich dann keiner mehr so genau an: dass die Flüchtlingsaufnahme zeitlich beschränkt und auf Syrer begrenzt sei.

Viele versuchten jetzt ihr Glück, auch Nichtsyrer. Deutschland wurde zum Zielland Nummer eins. Nicht Österreich, wie lang behauptet. Gestern führte die Regierung Merkel wieder Grenzkontrollen ein. Und stellte den Zugsverkehr ein. Deutschland stoße an die Grenzen seiner Belastbarkeit, wie diverse Politiker von links bis rechts am Sonntag erklärten.

Österreich kann, will es nicht selbst – und diesmal wirklich – zum Zielland Nummer eins zu werden, nur dem deutschen Beispiel folgen: Und ebenfalls die Grenze dichtmachen. Wobei es in der Realität keine Grenze mehr gibt. Mehr als Grenzkontrollen sind nicht drinnen – und diese werden nicht lückenlos sein können.

Nun rächt sich die Überheblichkeit gegenüber Ungarn. Österreich ist jetzt darauf angewiesen, dass Ungarn die Flüchtlinge nicht mehr unkontrolliert nach Österreich durchreisen lässt. Sonst entsteht in Nickelsdorf ein Massenlager, das Traiskirchen harmlos erscheinen ließe.

Abgesehen davon, dass an Österreichs Südgrenze weitere Flüchtlingslager entstehen könnten. Wenn Ungarn die Grenze zu Serbien nun endgültig schließt, so würden laut Experten die Flüchtlinge eben die Route über Kroatien und Slowenien nach Kärnten und in die Steiermark wählen.

Eine rasche EU-weite Lösung mit verbindlichen Quoten ist eine Illusion: Österreich steht nun, da die deutsche Großzügigkeit an unserer Grenze endet, mehr oder weniger allein da. Es muss für sich eine Entscheidung treffen. Es ist eine zwischen Herz und Hirn, zwischen Gefühl und Verstand. Dass wir Flüchtlinge aufnehmen sollen, ist unbestritten. Die Frage ist, wie viele wir aufnehmen können. Eine unkontrollierte Masseneinwanderung kann es nicht geben.

Und es geht nicht nur darum, wie viele wir in der aktuellen Notsituation unterbringen können. Sondern man wird über den Tag hinausdenken müssen: Wie können wir diese vielen Menschen, aus einem anderen Kulturkreis, mit einer anderen Religion, die zu einem großen Teil bleiben werden, bei uns integrieren? Wenn unser liberaler Lebensstil als Anreiz dafür ausreicht – wunderbar. Wenn nicht, wird man eine Art Leitkultur definieren müssen.

Nun gelten Syrer gemeinhin als gut ausgebildet und kompatibel mit unserem Gesellschaftsmodell. Allerdings, so gab die Nahost-Expertin Karin Kneissl im „Kurier“ zu bedenken: 80 Prozent der Flüchtlinge seien junge Männer. Sie alle in den Arbeitsmarkt zu integrieren dürfte schwierig werden, zumal es in Syrien kaum Industriefacharbeiter gebe – nach denen bei uns Nachfrage besteht –, sondern in erster Linie Handwerker und Händler. Zudem, so Kneissl, gebe es unter den weiblichen Flüchtlingen kaum unverschleierte Frauen, die Religion spiele also eine übergeordnete Rolle.

In diesem Spannungsfeld bewegen wir uns. Der große Fehler der jüngeren Vergangenheit, Zuwanderer sich selbst zu überlassen, muss von Beginn an vermieden werden. Wobei das freilich auch einen Integrationswillen der Neo-Österreicher voraussetzt. Bei manchen, etwa den Iranern, die erst vor dem Schah, dann vor den Mullahs flohen, hat das sehr gut funktioniert, bei anderen, wie den Tschetschenen, weniger.

Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass sich unser Land verändert. Je kontrollierter, je strukturierter und behutsamer das geschieht, desto besser.

E-Mails an:oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2015)

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