Wer wir sind, und was wir wollen

(c) REUTERS (YARA NARDI)
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Nicht nur die Europäische Union, nicht nur die Bundesregierung finden in der Asylpolitik keinen gemeinsamen Nenner: Auch in der Bevölkerung klaffen die Meinungsgräben.

Politik kann manchmal gleichzeitig kompliziert und schrecklich banal sein. Wenn man sich etwa die Rollen im Flüchtlingsdrama anschaut, fühlt man sich an den Büroalltag erinnert: Es gibt eine schwierige, dringende Aufgabe zu erledigen – und alle schauen in die Luft.
Tut uns leid, aber wir können nicht, sagen die einen (Kroatien) im Ton der Überforderung, während die anderen sich aufs Handy starrend taub stellen – und dann, wenn das nicht klappt, ruppig werden (Ungarn). Doch wie im Büro findet sich auch in der Politik letztlich eine bequeme Lösung: Ein Dritter, der nicht in der Runde dabei steht, soll es machen. Im Anlassfall wir: Österreich. Zwar droht die Innenministerin, bei jedem Asylantrag ein Dublin-Verfahren zur Rückstellung nach Kroatien oder Slowenien einzuleiten, aber die Wahrheit lautet: Ganz fremd ist uns das Weiterreichen nicht. Auch Österreich ist vor allem Transitzone auf dem Weg nach Deutschland. „Flüchtlingsjausenstation“ hat das der Wiener Bürgermeister genannt.
Das ist natürlich sowohl unter- als auch übertrieben. Die Logistik ist eine riesige Herausforderung und selbstverständlich werden Asylwerber hierbleiben – inklusive Familienachzug nicht wenige. Weshalb zaghaft bei uns etwas beginnt, was in Deutschland schon länger läuft: eine sogenannte Leitkultur-Debatte. Nach den ersten euphorischen Artikeln unter dem Eindruck der „Wir schaffen das“-Formel wird nun – so sind die Wellenbewegungen des Journalismus – laut über die Integration der künftigen Mitbürger nachgedacht: Wie kann das gehen, wie wird es das Land verändern.
Einige finden die Diskussion unpassend. Weil sie zu früh kommt, so, als ob – um einen oft benutzten Vergleich zu zitieren – man einem Unfallopfer die Behandlungskosten vorrechnet, bevor man den Druckverband anlegt. Oder auch weil „Leitkultur“ so nach „von oben herab“ klingt: Als müsste man den Ankommenden erst Nachhilfeunterricht in Zivilisation geben. Und manche fürchten wohl, dass die hilfsbereite Stimmung kippt, wenn man zu viel über Probleme spricht.

Gespalten. An den Einwänden ist etwas dran. Trotzdem muss man reden. Nicht nur wegen der Flüchtlinge (die es ja als die Flüchtlinge, als monolithischen Block nicht gibt: der Bogen reicht vom Kleinkind bis zum Kämpfer, vom Syrer bis zum Pakistani, und generell weiß man über sie wenig). Sondern auch unseretwegen. Denn wer dieser Tage mit Bekannten über das Thema diskutiert – und wer tut das nicht? –, merkt, wie gespalten die Bevölkerung ist. Dass es in er Situation dem Vizekanzler wichtiger ist, mit harter Linie im Oberösterreich-Wahlkampf zu punkten, derweil der Kanzler internationale Lorbeerblätter zupft, hilft da nicht weiter. Wenn sich nicht einmal die Regierung auf einen Nenner einigt, warum sollten es die anderen?
Was es bräuchte? Neben ehrlichen, faktenbasierten Antworten auf unbequeme Fragen (die auch lauten können: „Das weiß ich nicht“, so viel Wahrheit muss der Bürger aushalten) sind das Gedanken zur Integration. Sie sind nicht neu, aber je diverser Österreich wird, desto wichtiger ist ein Grundgefühl, das alle eint. Nun hat man aber den Eindruck, dass Österreich zwar stolz auf seine Skifahrer, seine Natur und nun auch auf sein Fußballteam ist, aber eben nicht auf Grundsätzliches, das unser Leben auszeichnet: Freiheit. Eine Freiheit, wohlgemerkt, die nicht zu Relativismus führt. Denn wenn jeder alles darf, funktioniert sie nicht. Freiheit braucht das Stützkorsett von (zivilisierter) Kritik, die alles umfasst und die man aushält, weil man sich geeinigt hat, dass im Konfliktfall empirische Argumente mehr zählen als kulturelle Bräuche oder religiöse Ansichten. Und wer etwas anderes behauptet, gegen den muss man Stellung beziehen. Umgehend. Sonst darf man sich nicht wundern, wenn sich Rechtspopulisten ohne Sinn für Ironie die „Verteidigung der Werte“ auf die Fahnen heften.


Der beste Weg, den Grundsatz von Freiheit und Kritik allen Neuen klar zu machen, ist freilich, ihn zu leben. Und wenn das für alle banal-normal wird, ist viel erreicht.

ulrike.weiser@ diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2015)

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