Mobilität ist Freiheit, und wie jede Freiheit hat sie ihren Preis

File photo of the logo of German carmaker Volkswagen seen at a VW dealership in Hamburg
File photo of the logo of German carmaker Volkswagen seen at a VW dealership in Hamburg(c) REUTERS (FABIAN BIMMER)
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Der VW-Abgasskandal bringt nicht nur das Dieselimage ins Wanken. Sondern auch das Versprechen der Industrie, es gäbe Mobilität ohne Nebenwirkungen.

Noch ist es ein reiner VW-Skandal. Die Affäre um jene Software, die von findigen, aber nicht sehr rechtsbewussten Ingenieuren des größten europäischen Autoherstellers in inzwischen zugegebenen elf Millionen Autos weltweit eingebaut wurde. Die Software erkennt, ob ein Abgastest durchgeführt wird und schaltet nur in diesem Fall das Abgaskontrollsystem vollständig an. Im Normalbetrieb betragen die Emissionen das 40-Fache der Grenzwerte.

Ein deutscher Autoexperte verglich den Konzern daher bereits mit einer „Hinterhofwerkstatt, die einen Gebrauchtwagen irgendwie durch die Inspektion bringen will“. Andere Beobachter nehmen im Zusammenhang mit den Vorgängen sogar das Wort Betrug in den Mund. Klar ist, dass die Affäre für VW direkte Kosten in Milliardenhöhe bringen wird und einen indirekten PR-Schaden, der wohl noch darüber liegt. Klar ist auch, dass VW-Chef Martin Winterkorn das Ganze wohl nicht überleben wird. Auch wenn sein Rücktritt am Dienstagnachmittag noch dementiert wurde, dürfte dieser Schritt wohl eher eine Frage von Tagen denn von Wochen sein.

Schon bald könnten aber auch andere Autohersteller von der Affäre mit nach unten gerissen werden. Denn in der Branche und unter automobilinteressierten Personen ist es seit Langem kein Geheimnis, dass die Messwerte bei Abgastests und im Realbetrieb oft nur wenig miteinander zu tun haben. Dies ist auch für den Laien leicht erkennbar: So werden die von den Herstellern angegebenen Verbrauchsangaben ebenfalls in solchen Tests ermittelt. Und von den meisten Autofahrern werden diese Angaben um Liter verfehlt.

Erst Anfang September publizierte die NGO ICCT (die auch die aktuelle Affäre ins Rollen gebracht hatte) eine Studie, in der 32 Autos unterschiedlicher Hersteller unter den offiziellen Testbedingungen und im Realbetrieb gemessen wurden. Während bei den offiziellen Tests alle die Grenzwerte einhielten, fielen 22 Autos im Realbetrieb durch. Dies bedeutet natürlich nicht automatisch, dass es hier ebenfalls eine aktive Schummelei wie bei VW gegeben hat. Wenn jedoch wie angekündigt die Behörden unterschiedlichster Staaten sich die Ergebnisse der Abgastests künftig genauer ansehen wollen, ist die Chance nicht gering, dass bald weitere Firmen in Erklärungsnotstand geraten.


Für die betroffenen Kunden ist die Affäre ein Fall von „enttäuschtem Vertrauen“, wie Winterkorn selbst in seiner Entschuldigung am Wochenende gemeint hat. Aber nicht nur. Sie haben auch einen handfesten ökonomischen Schaden. So dürfte sich der Wertverlust von VW-Modellen in den USA derzeit analog zum Aktienkurs des Unternehmens an der Frankfurter Börse verhalten.

Enttäuschtes Vertrauen gibt es aber auch bei jenen Menschen, die keinen VW-Diesel ihr Eigen nennen. Und zwar ist es das Vertrauen in das Versprechen der Autoindustrie, dass es eine Mobilität ohne Nebenwirkungen gäbe. Denn es ist dieses Bild, das seit Jahren durch hochglanzpolierte Werbungen und die dazupassenden Vokabeln wie „clean“ oder „blue“ transportiert wird.

Derzeit ist dieses Vertrauen vor allem beim Dieselmotor erschüttert. Doch auch der grundsätzlich sauberere Benzinmotor ist nicht gegen Kritik gefeit. So gibt es bei den besonders sparsamen und hochgezüchteten Direkteinspritzern Probleme aufgrund von Feinstaubpartikeln, die jene beim Diesel sogar noch übersteigen könnten. Und der erhoffte Heilsbringer der Zukunft – die Elektromobilität – bringt Atomkraft und den globalen Kampf um seltene Erden mit sich.

Individuelle Mobilität ist ein Stück Freiheit. Dazu braucht es keine Anspielungen an alte James-Dean-Filme, da reicht ein Blick in Länder, wo etwa Frauen das Autofahren untersagt wird – um sie immobil und somit unfrei zu halten. Daher soll und wird es in einer freien Gesellschaft auch immer Autoverkehr geben. Dass dieser jedoch in jedem Fall negative Auswirkungen für Umwelt und Gesundheit bringt, darf dabei nicht vergessen werden. Und dass dieser VW-Skandal uns daran erinnert, ist vielleicht der Grund dafür, dass viele derzeit so empört sind.

E-Mails an: jakob.zirm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2015)

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