Aufteilen, kassieren und wieder weiterschieben

Der Mehrheitsbeschluss zur Aufteilung von Flüchtlingen rettet momentan die Handlungsfähigkeit der EU. In der Praxis aber könnte er absurd enden.

Letztlich gab es keine andere Option mehr. Hätten die Innenminister der EU sich nicht gegen den Willen von vier osteuropäischen Regierungen per Mehrheitsbeschluss über die Aufteilung von 120.000 Flüchtlingen geeinigt, die Europäische Union hätte Schaden genommen. Wofür, so die einfache Rechnung, brauchte es noch diese Gemeinschaft, wenn sie solche Herausforderungen nicht mehr bewältigt? Da mögen der slowakische Premier, Robert Fico, und der tschechische Präsident, Miloš Zeman, noch so drohen oder toben, alles andere wäre eine Bankrotterklärung der gemeinsamen europäischen Politik gewesen.

Das Modell der verpflichtenden Aufteilung ist durch Beschlüsse des EU-Gipfels zu Maßnahmen an den Außengrenzen und in den Herkunftsländern komplettiert worden. „Alles wieder gut“, mögen die 28Staats- und Regierungschefs heute den EU-Bürgern glauben machen. Doch erst wenn Millionen an Flüchtlingen in Ländern wie der Türkei oder Jordanien wieder eine Perspektive erhalten, wenn sie eine Chance haben, in ihre Heimatländer zurückzukehren, wird das Problem gelöst sein. Erst wenn es für sie andere Optionen gibt, als mit dem Boot über das Meer auf griechische Inseln zu steuern, werden EU-Staaten wie Deutschland entlastet sein.

Die EU-Regierungen sind noch lang nicht so weit, „Brand aus!“ zu rufen. Und wenn dieser Aufteilungsbeschluss nicht mit konsequenten Maßnahmen zur Integration begleitet wird, bleibt auch er nur ein hilfloser Versuch, das Problem zu entschärfen. 6000 Euro soll jedes Land für jeden aufgenommenen Flüchtling erhalten. Wie leicht kann geschehen, dass dieses Geld zwar kassiert wird, die Menschen aus Syrien, Afghanistan oder Eritrea aber weiterhin so schlecht behandelt werden, dass sie die zugewiesenen Länder so rasch wie möglich verlassen möchten? Laut den Vorschlägen der EU-Kommission sollen Sozialleistungen an den Verbleib im Land gebunden werden. Es soll für sie regelmäßige Kontrollen bei Meldebehörden geben. Aber niemand kann verhindern, dass sich diese Menschen erneut dorthin bewegen, wo sie eine bessere Zukunft erhoffen – etwa nach Deutschland oder Schweden.

Wie etwa sollen junge afghanische Flüchtlinge motiviert werden, sich in Ländern wie Spanien oder Rumänien anzusiedeln, wo sie auf eine Jugendarbeitslosigkeit von 49 beziehungsweise 23Prozent treffen? Warum sollen sie die polnische Sprache erlernen, wenn sie eigentlich zu ihren Verwandten nach Deutschland ziehen wollen? Es ist zu befürchten, dass einige jener Länder, die sich nun von den EU-Partnern überrumpelt fühlen, genau diese Ungereimtheiten nutzen werden, um die zugewiesenen Asylberechtigten rasch wieder loszuwerden.

Auch kann das System einer Aufteilung nur funktionieren, wenn tatsächlich jeder angekommene Flüchtling im Land der Einreise registriert wird. Derzeit, so heißt es aus Brüssel, seien beispielsweise in Griechenland nicht einmal so viele Personen registriert, wie nun aufgeteilt werden sollen. Die Motivation, der Registrierung zu entgehen, könnte noch steigen, wenn die Aufteilung tatsächlich einsetzt. Zu groß ist für die Einwanderer die Gefahr, in ein Land zu geraten, das kaum Perspektiven bietet.


Insgesamt bleibt das Problem bestehen. Zum einen, weil die Welle der Zuwanderung einfach zu groß ist. Zum anderen aber auch, weil der Zugang zu diesen Menschen ein einseitiger ist. Ob Ungarn, Österreich, Italien oder Griechenland: Es ging in den vergangenen Wochen vor allem darum, die Flüchtlinge rasch wieder loszuwerden. Es gab Hilfsbereitschaft, aber kaum Überlegungen, wie diese zehntausende Menschen als Teil der europäischen Gesellschaft funktionieren, wie sie als positiver Wirtschaftsfaktor wirken, wie sie in ihrer Heimat einmal als Botschafter westlich-demokratischer Werte fungieren könnten. Es gab eine Willkommenskultur auf der einen und erhebliche Ängste auf der anderen Seite. Und es gab nationale Regierungen, die in einem Zickzackkurs die gastfreundlichen Hinauskomplimentierer spielten. Das ist zu wenig für eine nachhaltige Lösung.

E-Mails an: wolfgang.boehm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

A German border sign is seen on the highway near Salzburg
Außenpolitik

Wo sich Deutschland von seiner überforderten Seite zeigt

Die deutschen Bundesländer sind mit der anhaltend hohen Zahl an Flüchtlingen überfordert. Wie sehr, lässt sich vor dem Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales beobachten. Dort harren tagtäglich hunderte Menschen ihrer Registrierung in Deutschland.
Migrants wait to cross the border from Serbia into Croatia near the village of Babska
Außenpolitik

Flüchtlinge: Kroatien öffnet zwei Grenzübergänge zu Serbien

Regierungschef Zoran Milanovic warnte bereits am Nachmittag, er werde die Grenze wieder schließen, sollte dies im nationalen Interesse sein.
Syrische Flüchtlinge auf der Insel Lesbos.
Außenpolitik

Flüchtlinge: Athen trifft Vorbereitungen für Hotspots

Die Registrierungszentren für Flüchtlinge sind auf den Inseln Chios, Lesbos, Samos und Kos geplant. Unklar ist, wohin Menschen mit negativem Status kommen sollen.
Außenpolitik

Geld und Grenzschutz: Europas Antwort auf die Flüchtlingskrise

Brüssel will die Versorgung der hilfsbedürftigen Syrer außerhalb der Europäischen Union finanzieren.
Wenig zu Lachen haben Faymann und Orban in der Flüchtlingskrise.
Außenpolitik

EU-Gipfel: Offener Schlagabtausch zwischen Faymann und Orban

Kanzler Faymann und Ungarns Premier lieferten sich am EU-Sondergipfel hitzige Diskussionen. Ungarn erwäge, Flüchtlinge nach Österreich passieren zu lassen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.