Auch ohne Asylkrise wäre nicht alles eitel Wonne

Die Causa prima der jüngsten Zeit überdeckt, dass es auch schon vorher Probleme auf dem Arbeitsmarkt, beim Wachstum und im Sozialsystem gab.

Wie groß war der Anteil der aktuellen Flüchtlingskrise am Wahlergebnis in Oberösterreich? Das war die Frage, die seit dem FPÖ-Erdrutschsieg vom Sonntag in Kommentaren oder politischen Diskussionen allerorts gestellt – und unterschiedlich beantwortet wurde. Manch einer verstieg sich dabei zu der Ansicht, das Thema werde medial überbewertet. Die im Land kräftig geprügelten Bundesregierungsparteien SPÖ und ÖVP wiederum sahen im Asylthema den einzigen Grund für ihr schwaches Abschneiden.

Die Wahrheit dürfte wohl – wie so oft – in der Mitte liegen. Denn natürlich hat die Flüchtlingsthematik großen Einfluss auf die Wahlentscheidung gehabt. Diesen Einfluss konnte sie aber auch nur haben, weil sie auf eine bereits seit Längerem vorhandene Unzufriedenheit mit der Leistung der Bundesregierung trifft (und diese färbt nun einmal auch auf Landtagswahlen ab).

Denn auch wenn es zuletzt durch die Causa prima nahezu überdeckt wurde: Österreich verliert bereits seit Monaten in bedrohlichem Ausmaß den konjunkturellen Anschluss an Länder wie Deutschland, mit denen vor nicht allzu langer Zeit noch ein Gleichschritt möglich war. Und das hat entsprechend negative Auswirkungen auf Arbeitsmarkt und Sozialsystem. Die sozio-kulturelle und ökonomische Herausforderung, tausende Flüchtlinge zu integrieren, kommt auf diese angespannte Situation sozusagen lediglich obendrauf.


Am besten ist dieser zunehmende Respektabstand zu Deutschland an der Entwicklung der öffentlichen Finanzen absehbar. So konnte Deutschlands Finanzminister, Wolfgang Schäuble, im ersten Halbjahr sogar einen Überschuss von 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts vermelden. Ein Ergebnis in ähnlicher Höhe galt im Sommer auch für das Gesamtjahr als möglich. Dies dürfte sich aufgrund der zusätzlichen Kosten für Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge nun zwar ändern. Es zeigt aber auch, dass es mit Überschüssen in der Tasche wesentlich leichter ist, das Herz für Menschen in Not zu öffnen, wie es der deutsche Bundespräsident, Joachim Gauck, zuletzt forderte.

Anders die Situation hierzulande. Hier rechnet Finanzminister Hans Jörg Schelling für das Gesamtjahr zwar ebenfalls mit einem Ergebnis von knapp zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Allerdings im negativen Bereich. Schon im Sommer musste er, trotz eines Zuwachses der Steuereinnahmen um rund fünf Prozent, ein deutliches Minus vermelden.

Grund für diese unterschiedliche Entwicklung der Budgets ist nicht zuletzt die Situation auf den Arbeitsmärkten, die großen Einfluss auf Einnahmen und Ausgaben des Sozialsystems hat. Hier hat Österreich seine einstige Rolle als Vorzugsschüler Europas schon längst eingebüßt. Bereits im Dezember 2014 wurden wir von Deutschland überholt – zu einer Zeit also, in der vom aktuellen Flüchtlingsansturm noch weit und breit nichts zu sehen war. Inzwischen ist Österreich im EU-Vergleich nur mehr auf dem sechsten Platz. Tendenz weiter fallend. Der seit dem Frühjahr geplante Arbeitsmarktgipfel der Regierung wird dennoch im Monatsrhythmus verschoben.


Dabei sollte man sich von einem Missverständnis ohnehin verabschieden. So kann die Politik keine Jobs schaffen (außer Versorgungsposten für Parteifreunde). Sie kann lediglich für die Voraussetzungen sorgen, dass Unternehmen neue Arbeitsplätze schaffen können. Und dazu gehört vor allem eine konkurrenzfähige Steuerbelastung. Diese liegt laut OECD in Österreich mit 49 Cent bei jedem an einen Arbeitnehmer gezahlten Euro aber deutlich über dem internationalen Schnitt von 36 Cent. Kein Wunder. Braucht der Staat doch jeden Cent dringend, um beispielsweise den heimischen Föderalismus oder einen durchschnittlichen Pensionsantritt, der um mehr als ein Jahr unter jenem von 1970 liegt, zu finanzieren.

All diese Probleme sind seit Jahren bekannt und werden von der Regierung nicht angegangen. Dass die aktuelle Flüchtlingskrise nun die Wähler in Scharen in die Arme einer Protestpartei treibt, die bei diesen Fragen ebenfalls konzeptlos ist, mag man zwar unfair finden. Überraschen sollte es aber niemanden.

E-Mails an: jakob.zirm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.