Der Bürger ist nicht wehrlos gegen den Übermut der Macht

Es hat einen furchtlosen Studenten aus Österreich gebraucht, um das System der US-Massenspionage auszuhebeln. Ein Grund zur Freude – und zur Scham.

Es klingt, als wäre es ein modernes Märchen. Wie bei vielen dieser fabulösen Geschichten ist die Ausgangslage denkbar düster: eine globale Supermacht, die unter dem Deckmantel der Sicherheit die Daten von Menschen aus aller Welt hemmungslos sammelt und auswertet. Geheimdienste, denen die größten IT-Konzerne als willige Handlanger dienen. Eine EU-Kommission, die zu schwach ist, um die Privatsphäre ihrer Bürger außerhalb Europas zu schützen. Und hunderte Millionen Europäer, die vor den neuen Machtverhältnissen in einer digitalisierten Welt kapitulieren: Sie verbringen ihre halbe Freizeit in sozialen Netzwerken. Sie wissen, dass sie ihre intimsten Daten damit für kommerzielle und geheimdienstliche Zwecke ausliefern. Und sie lassen es zu – ratlos, achselzuckend, ohnmächtig.

Die wichtigste Botschaft des gestrigen Tages lautet: Diese scheinbare Ohnmacht täuscht. Auch sture, idealistisch gesinnte Einzelkämpfer können eine dichte Phalanx potenter Interessen durchbrechen. Es muss nicht gleich ein Held wie Edward Snowden sein. Es genügt zuweilen auch ein aufgeweckter Jusstudent aus Salzburg.

Max Schrems hat sich mit Facebook und Irland angelegt, wie einst David mit Goliath, und beim Showdown vor dem Europäischen Gerichtshof auch noch recht bekommen. Sicher: Die Causa hat längst eine Eigendynamik gewonnen, die weit über den Anlassfall hinausgeht. EuGH-Generalanwalt Bot trieb sie mit seinem Furor gegen die schwachen Verhandler in Brüssel kräftig voran. Sein Gutachten sorgte dafür, dass die ganze windige Safe-Harbour-Regelung kippt, mit der sich US-Unternehmen ein weißes Daten-Westchen umhängen konnten. Und EuGH-Präsident Skouris hat sich an seinem letzten Arbeitstag einen starken Abgang gegönnt. Aber es war doch Schrems, der mit seiner unerschrockenen Initiative die Lawine erst einmal ins Rollen gebracht hat.

Wie ein begossener Pudel steht nun die irische Datenschutzbehörde da, die den Fall bis zum Schluss als „albern“ abgetan hat. Irland hatte US-Konzerne wie Facebook und Google mit zwei Versprechen ins Land gelockt: niedrige Steuern und laxe Regulierung. Zu Letzterem gehört auch, Beschwerden von Verbrauchern abzuwiegeln. Deshalb holte sich Schrems dort über Jahre eine chronisch blutende Nase. Aber er ließ einfach nicht locker.

Im Visier des Gerichts stand freilich die EU-Kommission. Schon die mündliche Verhandlung wirkte wie ein Kreuzverhör gegen die Vertreter Brüssels. Sie hatten mit den USA eine Regelung ausgeschnapst, die von Anfang an höchst fragwürdig war. Denn was nützt eine Selbstverpflichtung von 4400 US-Unternehmen, wenn jedes öffentliche Interesse, jedes Gesetz und jede Miniverordnung sie davon entbinden kann? Vollends zutage trat die Absurdität mit den Enthüllungen Snowdens. Seit zwei Jahren will die Kommission deshalb Safe Harbour neu verhandeln – und lässt sich von der US-Seite mit Hinhaltetaktik an der Nase herumführen.

Lächerlich hat sich auch Facebook gemacht. „Wir tun so etwas nicht.“ Allein mit einem Blog-Eintrag von Gründer Mark Zuckerberg wollte das Unternehmen „beweisen“, dass es nicht wahllos Daten an den US-Geheimdienst abliefert. Freilich hat die Politik den Konzernen einen Maulkorb verpasst. Sie werden jetzt aufbegehren. Denn sie können nicht zulassen, dass die Spionagewut ihrer Regierung ihnen das Geschäft in Europa kaputt macht. Das Urteil wird auch kein Chaos auslösen, wie Alarmisten warnen. Übergangsfristen sollten dafür sorgen. Denn niemand hat ein Interesse, dass der wirtschaftlich notwendige Datenfluss über den Atlantik ins Stocken gerät. Europas Bürger aber dürfen ernsthaft hoffen, dass ihre privaten Daten künftig besser geschützt sind. Ein Wermutstropfen dabei: Ihren Politikern verdanken sie das nicht. Eine oberste EU-Behörde ist nur so stark wie der Rückhalt, den ihr die nationalen Regierungen bieten. Europas mächtigste Politiker sind vor den Amerikanern beim Datenschutz in die Knie gegangen, selbst dann noch, als sie höchstpersönlich als Opfer dastanden. Ein Student musste es nun richten. Das ist eine tolle Geschichte. Aber sie ist leider auch ziemlich beschämend.

karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2015)

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