Nein, es geht heute nicht um Flüchtlinge

Michael Häupl und Heinz-Christian Strache funktionierten die Wien-Wahl erfolgreich zur Abstimmung über (inter)nationale Migrationspolitik um. Wir dürfen an dieser Stelle kurz an Wien erinnern.

Gut, überzeugend, mitreißend oder am Punkt war im Wiener Wahlkampf keine einzige Partei oder deren Spitzenkandidat(in). Von unten nach oben vor Vorliegen des Wahlergebnisses: Die Neos führten einen FPÖ-Wahlkampf für Stilbewusste, scheuten konsequent notwendige wirtschaftsliberale Festlegungen und konnten nur mit gerechtfertigter Kritik an Geldverschwendung und Inseratenpolitik punkten. Stimmt, Selbstbewusstsein ist sehr wichtig in der Politik, Beate Meinl-Reisinger dürfte nach Wien demnach in den USA für die Demokraten ins Rennen gehen. Die Grünen glaubten offenbar ihren eigenen Liebe-Friede-Fußgängerzonen-Wahlplakaten und übersahen die Notwendigkeit, klare Botschaften über die Zukunft von Gesellschaft und Stadt zu kommunizieren. Frontfrau Maria Vassilakou merkt man Fehler und den Ärger über Michael Häupl, Medien und Co. leider an.

Die Wiener ÖVP konzentrierte sich auf Verkehrspolitik, vergaß irgendwie das große Ganze und wirkt seltsam mutlos. Manfred Juraczka gab als Schmiedl den Heinz-Christian Strache mit Messer und Gabel und bleibt kaum im Gedächtnis. Heinz-Christian Strache ist zwar offenbar kaum zu stoppen und versuchte mit mehr Kreide als gewöhnlich beim Thema Flüchtlinge zu punkten, konnte aber in zentralen Punkten keine inhaltlichen Standpunkte vertreten. Als er im „Presse“-Interview zur Wahl über die konkrete Finanzierung seiner Wahlversprechen gefragt wurde, fand er keine Antwort – was sogar der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ in einem Bericht über die Wahl eine ausdrückliche Erwähnung wert war.

Und dann ist da natürlich Michael Häupl, auf dem die gesamte Wahlkampflast zu ruhen schien. So glaubwürdig und authentisch seine beherzte Hilfe bei der Übernahme von Transitflüchtlingen und Asylbewerbern war, so teilnahmslos ließ er Verkehrs-, Integrations- und Bildungspolitik treiben, hielt sich mit Dynamik und Entscheidungen zurück, überließ seinen Stadträten Bühne und Engagement. Dass er in einem Interview mit seiner U-Bahn-Zeitung „Heute“ ankündigt, sich nach der Wahl um bessere Kommunikation bemühen zu müssen – wörtlich sei vor „viel mehr direktes Gespräch“ nötig, lässt tief blicken. Eine kleine Analyse einer Niederlage Tage vor der Wahl ist selten. Oder Müdigkeit.

Es sollte heute nicht um die Flüchtlingspolitik gehen. Nicht, weil man sich in dieser Frage vor den Wählern fürchten muss oder irgendetwas unter den Teppich gekehrt werden soll, wie Weltverschwörungsfanatiker gern glauben, sondern weil in Wien, also auf Landesebene, wenig bis kaum Kompetenzen für die Lösung der Flüchtlingskrise sind. Selbst Strache gibt das zu und meint, er würde als Bürgermeister wie ein echter Landeshauptmann politisch und medial Krawall schlagen, wenn weiter so viele Flüchtlinge kämen. Das klingt nicht sehr vertrauenserweckend.

Aber worüber sollten wir dann abstimmen? Über die Finanzpolitik Wiens etwa, mittels der Geld für Brot und Spiele ausgegeben wird, als gäbe es kein Morgen? Über die Bildungspolitik, die die Sozialdemokratie als zentrale Aufgabe statt der Sozialpolitik verstehen sollte? Und für die sich die ÖVP wesentlich mehr bewegen müsste. Über Verkehrspolitik, die ein klares Konzept verlangen würde? Und nein, die Moralpädagogik der Grünen ist für Bürger in einer Stadt nicht die ideale Variante. Wir müssten auch über die bisherigen Versäumnisse und Erfolge – ja, die gibt es auch, selten, aber doch – in der Integrationspolitik abstimmen. Offen und ohne Westbahnhof-Heiligenschein. Vor allem müssen wir uns fragen: Wenn diese Stadt auf jeden Fall jährlich weiterwächst – mit vielen oder wenigen Flüchtlingen mit positivem Asylbescheid: Wie finanzieren und organisieren wir Gesundheitssystem, Sozialleistungen, Wohnbau und den Umgang miteinander? Und worauf müssen wir verzichten? Davon war im Wahlkampf nichts zu hören. Und das ist nicht die Schuld der Flüchtlinge.

rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.