Warum nur ist Europa ein Quotenkiller?

Emotion kommt nur von den Feinden der EU. Kein Wunder, dass (fast) niemand mehr Lust auf Europa hat.

Üblicherweise haben selbst Kunststaatssekretäre mitten im Hochsommer mehr Publikum: Die „Pressestunden“ mit den EU-Spitzenkandidaten in den letzten Wochen lockten nur wenige TV-Konsumenten vor den Bildschirm. Zwischen 56.000 (Andreas Mölzer) und 117.000 (Ewald Stadler) schalteten dafür auf ORF2. Im Durchschnitt haben „Pressestunden“ aber rund 150.000 Zuseher, bei FPÖ-Chef Strache waren es im Februar dieses Jahres sogar 227.000. Und so richtig desaströs ist das Interesse der Jugend: Laut ORF-interner Marktbeobachtung erreichte etwa Ernst Strasser mit seiner „Pressestunde“ praktisch keinen einzigen Zwölf- bis 29-Jährigen. Politik, speziell im Fernsehen, ist eben eine 50-plus-Angelegenheit.

Aber selbst in dieser Altersgruppe fühlt sich eine nicht unbeträchtliche Zahl über EU-Angelegenheiten schlecht informiert. Ist Europa denn so langweilig, dass es einen Abschaltimpuls auslöst? Nein, es ist so komplex: 27 Mitglieder ringen um den kleinsten gemeinsamen Nenner, und oft geht es um Materien, die hierzulande keinen interessieren. EU-Abgeordnete sind außerdem selten bunte Vögel. Man schickt keine „Rising Stars“, sondern lieber altgediente Routiniers nach Brüssel. Daheim gelten sie oft als graue Mäuse. Wie Hannes Swoboda und Othmar Karas.

Wobei Karas absurderweise sogar Profiteur des ÖVP-Kalküls ist, das ihn wegen drohenden Gähneffekts zugunsten Ernst Strassers von Platz eins verdrängt hat. Jetzt hat er – auch dank eines aktiven Personenkomitees – plötzlich einen kleinen Heldenstatus erworben, der der ÖVP-Spitze gar nicht passt. Aber in diesem jämmerlichen Wahlkampf genügt es schon, kein Opportunist zu sein und keinen himmelschreienden Unsinn zu verzapfen.

Das ist übrigens keineswegs nur eine FPÖ-Domäne: So behauptet die SPÖ mit ihren jüngsten Plakatsprüchen allen Ernstes, die österreichischen Pensionen in Europa sichern zu wollen. Swoboda weiß als langjähriger EU-Parlamentarier natürlich, dass sich die EU nicht ins heimische Pensionsrecht einmischt. Wen wundert's da, wenn sich die Wähler bei so einem ausgemachten Blödsinn in Desinteresse flüchten? Praktisch alle Kandidaten, und nicht nur der „echte“ Volksanwalt Ewald Stadler, betrachten sich ja als Volksanwalt Österreichs bei der EU, was provinziell und bar jeder Realität ist. Wer in dieser Logik weiterdenkt, muss natürlich für den Lissabon-Vertrag sein: Der wertet kleine Länder im EU-Parlament auf, Österreich bekäme dadurch mehr Abgeordnete. Das (und anderes) geht im Gezeter der Gegner aber unter.


Wahre Leidenschaft legen nur die Feinde der EU an den Tag. Die FPÖ ruft den 7. Juni gar als „Tag der Abrechnung“ aus. Wofür eigentlich? Dafür, dass wir in Frieden, Freiheit und Wohlstand leben, von den reichen zu den armen europäischen Ländern umverteilt wird, wir überall in Europa studieren und arbeiten dürfen und mit den USA als Wirtschafts- und Wissenschaftsmacht konkurrieren können?

Aber welchen Spitzenpolitiker, vom Bundeskanzler abwärts, kennen Sie, der dies oft und mit positiver Emotion verkündet? Beim ORF-Bürgerforum, bei dem die EU-Spitzenkandidaten mit dem Publikum diskutierten, flackerte diese proeuropäische Freude kurz auf: bei einer Gruppe von Jugendlichen. Welch Wohlklang im nörglerischen Ton, der aufkeimt, sobald es um die EU geht!

Eigentlich hätten wenigstens jene Firmen, die von den offenen Märkten profitieren, in den letzten Wochen öffentlich für Europa eintreten müssen, damit zwischen den elenden Diskussionen über Spesenabrechnungen, Glühbirne und Abendland auch mal Positives thematisiert wird.

Aber das ist nur ein frommer Wunsch. Jetzt, nach Jahren der gescheiterten Integrationspolitik, machen wir die EU für die vielen Kopftuchfrauen in der U-Bahn verantwortlich. Aber die türkischen Arbeiter haben wir lange vor unserem EU-Beitritt geholt, das hat nichts mit dem EU-Parlament zu tun, das am 7. Juni gewählt wird.

Früher einmal gab es lustvolle Spielshows im Fernsehen, bei denen Länder gegeneinander antraten: „Games without frontiers“, übrigens auch ein Lied von Peter Gabriel. Bei „EWG“ („Einer wird gewinnen“) mit „Kuli“ (Kulenkampff) fieberten wir seinerzeit Samstagabend mit, und das hat mehr für Europa geleistet als so manche EU-Kampagne. Vielleicht sollte man dieses TV-Format wiederbeleben, damit das Gemeinsame wieder sichtbarer und die Europahymne gelegentlich wirklich zu einer „Ode an die Freude“ wird.

Die Mühlsteine der EU-Kandidaten Seite 1
Europäische Asyldebatte Seite 2

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2009)

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