Warum Autonomie gut ist und ein Zauberwort nicht reicht

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Themenbild(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Alles, was in Richtung mehr Verantwortung für die Schulen geht, ist dringend notwendig. Eine mutige Neuaufstellung des Systems sieht aber anders aus.

Der in Zahlen gegossene Blick in andere Länder macht immer wieder deutlich, wie weit Österreich in manchen Belangen hinterherhinkt: Während im EU- Schnitt Direktoren fast die Hälfte der Entscheidungen auf Schulebene treffen, und in den Niederlanden sogar fast 90 Prozent, entscheiden heimische Schulleiter laut OECD nicht einmal über ein Drittel der schulischen Fragen: 31Prozent. Eines ist also klar: Jeder Prozentpunkt, ja, jedes Zehntelprozent mehr an Autonomie ist gut.

Nicht, weil es all die anderen auch machen – sondern, weil jede Schule ein bisschen andere Bedürfnisse hat. Weshalb an jeder zweiten Schule unter anderem sogar mehrere Schulversuche laufen. Und viele Direktoren ihre innovativen Ideen an den zugedrückten Augen der Schulaufsicht vorbeischmuggeln.

Dass die Bildungsreformgruppe die Schulautonomie zum zentralen Gegenstand ihrer Reform gemacht hat, ist also ehrlich erfreulich. (Dass die Reformer mit der Autonomie ganz nebenbei auch ideologische Differenzen umschiffen, soll ihnen nicht negativ ausgelegt werden, im Gegenteil.) Das Zauberwort der Bildungsdebatte auch mit Leben zu erfüllen ist – wie die nun bekannt gewordenen Punkte zeigen – aber nur bedingt gelungen.

Nicht falsch verstehen: Dass Direktoren künftig das Recht haben sollen, bei der Lehrerauswahl mitzureden, dass sie mehr inhaltlichen Spielraum bekommen, dass sie über einen Teil ihres Budgets bestimmen dürfen: All das sind Punkte, die Experten wie Praktiker schon längst fordern. Dass Schulen selbst bestimmen sollen, wie sie ihre Öffnungszeiten gestalten, dass sie einfacher jahrgangsübergreifend arbeiten können sollen, detto.

Die geplanten Punkte beinhalten also Neuerungen, die längst als notwendig erkannt wurden. Über die man eigentlich fast nicht streiten kann. Was sie nicht sind: eine mutige Neuaufstellung des Systems mit wirklich autonomen Schulen. Der Einwand, dass Schulen dafür ohnehin noch nicht bereit sind, gilt nur bedingt: Niemand wird daran gehindert, längerfristige (und größere) Visionen zu entwerfen. So, wie es übrigens auch bei der vergangenen „großen“ Schulreform notwendig gewesen wäre: dem Lehrerdienstrecht. Mit dem neuen Dienstrecht wurde da gerade erst ein maximal unflexibles System zementiert – ohne an weitere Neuerungen zu denken. Wenn jeder Lehrer auf das Zehntel genau seine Werteinheiten erfüllen muss – was wohl so rasch nicht gekippt wird –, wo bleibt da der Spielraum?

Einige weitere Fragen drängen sich auf: Warum dürfen Direktoren schlechte Lehrer nicht verabschieden und gute belohnen? Warum bekommen sie nicht mehr finanzielle Verantwortung statt nur die etwas mehr als ein paar tausend Euro für den Sachaufwand? Warum wird die Finanzierung nicht ganz neu aufgestellt, mit zusätzlichem Geld, das durch andere Reformen frei wird? Warum dürfen Schulen nicht entscheiden, ob sie eine Bürokraft, eine weitere Deutschlehrerin oder einen Sozialarbeiter anstellen wollen? Warum nicht beim Lehrplan frei sein, solange sie die vorgegebenen Ziele erreichen?

Nun, vielleicht finden manche dieser Fragen noch ihren Weg in das Reformpapier. Echte Schulautonomie könnte immerhin auch eine Möglichkeit sein, um ein anderes ideologisches Thema zu umschiffen: den Streit um die Gesamtschule. Weil sich wirklich autonome Schulen irgendwann eher durch ihr jeweiliges Profil unterscheiden könnten als dadurch, was auf dem Türschild steht.


Nachdem mit den Ideen für die Autonomie das „Herzstück“ der Reform bekannt ist, kommt die Bildungsreformgruppe kurz vor dem Abgabetermin jedenfalls zusätzlich unter Druck: weil sie nicht mehr darauf hoffen kann, dass die Schulautonomie am 17. November jene Punkte überstrahlt, bei denen man nicht zu einem zufriedenstellenden Ergebnis kommt (Stichwort Schulorganisation.) Dass die Bildungsministerin ausgerechnet zwei Wochen vor dem Abgabetermin Amtsbesuche in Israel und auf Zypern absolviert, statt in Wien an der Bildungsreform zu feilen, bedeutet hoffentlich nicht, dass sie nicht mehr an weitere Einigungen glaubt.

Emails an: bernadette.bayrhammer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2015)

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