Nein, wir reden einfach nicht über Frau Mikl-Leitner und Herrn Klug

Die Zaunposse lenkt von zentralen Fragen des Flüchtlingsproblems ab. Was ist, wenn Berlin den Zuzug stoppt? Warum geschieht an der EU-Grenze nichts?

Was ist der Unterschied zwischen Österreich und Bayern? Bayern kann – mittels Angela Merkels kleinen Koalitionspartners CSU – Druck auf die Kanzlerin ausüben. Österreich kann das nicht.

Werner Faymann kann nur telefonisch schmeicheln, bitten und hoffen. Das funktioniert manchmal sogar. Die Erleichterung am Ballhausplatz und in dem kleinen sonnigen Regierungsviertel über den SPD-Merkel-Erfolg im Konflikt mit der CSU ist gewaltig. Deutschland wird keine Transitzonen an der Grenze schaffen, in denen Tausende registriert und – je nach Asylerfolgschancen – schnell oder langsam weitergebracht werden. Flüchtlinge werden nicht nach Österreich zurückgeschickt, wie es einige in der CSU verlangt haben. Die Grenzen bleiben – reglementiert – offen. 7000 Personen dürfen pro Tag nach Deutschland einreisen. Das kann an manchen Tagen für Österreich eng werden – wir hatten schon über 10.000 Einreisen, organisatorisch dürfte es die angespannte Lage entlasten. Zumindest kurz. Alles entscheidend wird sein, ob es Christian Konrad gelingt, genug winterfeste Quartiere zu organisieren. Die Frage, was der Raiffeisen-Veteran genau mache, beantwortet er wie folgt: Er verhandle über Quartiere und meide die Öffentlichkeit – weniger aus einem Anfall von Bescheidenheit, sondern weil vor Kameras Verhandlungen unmöglich sind.

Österreich wird trotz der Angst der Regierung übrigens kaum daran vorbeikommen, von der UNO tausende winterfeste Zelte zu übernehmen, die als Transitquartiere verwendet werden. Die Nachricht, dass Österreich weiter seinen einigermaßen professionellen Shuttledienst durchführt und Menschen nach Deutschland weiterreicht, hindert die Minister für Sicherheit nicht, täglich vorzuführen, wie sinnlos eine Koalition dieser Parteien ist. Johanna Mikl-Leitner folgt dem Beispiel Konrads leider nicht, sondern schwadroniert in einer deutschen Talkshow über Schönheit und Sinnhaftigkeit von Zäunen. Gerald Klug freut sich tatsächlich, dass er vor Mikl-Leitners Zaunvorstellung eine eigene Innenarchitekturkonzeption von Begegnungszonen präsentieren kann. Und SPÖ-Klubchef Andreas Schieder würde das Problem einfach lösen: „Ich verstehe es nicht, bei jeder Großveranstaltung im Stadion kommen 40.000 bis 50.000 Menschen zusammen, und dennoch sind 20 Minuten nach dem Ende alle in der U-Bahn.“ Dem Vernehmen nach sucht Schieder die U-Bahn in Spielfeld noch immer. Ohne jemanden beleidigen zu wollen, aber man ist versucht, die Beteiligten wie Kinder zu behandeln: Bitte, geht in den Hof spielen. Eine weitere Zeile über die Posse wäre Verschwendung.

Dank des Kompromisses in Berlin, dank der Hilfsorganisationen, Freiwilligen, Soldaten und Polizisten wird die echte Notsituation also vorerst weiter verhindert. Aber: Das ist nur ein Aufschub. Es sind weiter Tausende unterwegs. Selbst wenn sich wegen des Winters in einigen Wochen weniger Menschen aufmachen, Deutschland weiter den eingeschlagenen Kurs fährt und die massiven Probleme mit dem Andrang zumindest einigermaßen unter Kontrolle hat, wird sich 2016 nicht von 2015 unterscheiden. Mit bis zu drei Millionen Menschen rechnet die UNO in den kommenden Jahren. Drei bis vier Länder können dies nicht schultern.

Daher wären sofortige Maßnahmen notwendig, ohne die wir das U für Union aus EU streichen könnten: Anlagen zur Registrierung von Flüchtlingen in Griechenland, betrieben und bezahlt von der EU, der Einsatz der Marine mehrerer europäischer Länder vor den griechischen Inseln mit dem Auftrag, Menschen zu retten, wo es notwendig ist, aber auch Schlepper abzuschrecken, die Wiedereinführung der Möglichkeit, Asylanträge in Ländern wie dem Libanon oder der Türkei zu stellen, der militärische Einsatz von europäischen Ländern in Syrien, um dort sichere Zonen zu schaffen, sofortige echte finanzielle Unterstützung der Flüchtlingslager in der Türkei und vor allem im Libanon. Und so weiter und so fort.

Wie Österreichs Regierung hoffen viele, das Problem würde einfach verschwinden. Wird es nicht. Schon bald werden wir Bilder von (er)frierenden Kindern entlang der Balkanroute sehen. Wer die angeführten Maßnahmen nicht angeht, ist verantwortlich für weitere humanitäre Katastrophen.

E-Mails an:rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.