Europa wurde angegriffen, Europa muss sich wehren

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Es wird nicht reichen, die Trikolore zu schwenken und zu beten. Der militärische Kampf gegen ISIS muss verstärkt werden.

Manhattan war und ist das Herz der USA, der internationalen Marktwirtschaft. Paris war und ist das Herz Europas. Hier soll (wieder einmal) das Weltklima gerettet werden. Hier wird die Fußball-Europameisterschaft über die Bühne gehen. Hier gibt es mehr Lebenslust, Lebensstil und Lebensfreude als in jeder anderen Stadt. Die Ziele der islamistischen Attacken sind nicht zufällig gewählt. Die Absicht der al-Qaida und nun der Terrorbewegung ISIS – das ist kein anerkannter Staat, daher ist das Kürzel IS problematisch – war es, größtmögliche Verunsicherung und Polarisierung der gesamten westlichen Gesellschaft zu verursachen. Das dürfte in beiden Fällen gelungen sein, daher kann die Antwort nur darin liegen, besonnen zu bleiben, kühlen Kopf zu bewahren, wie das unser Außenpolitik-Chef Christian Ultsch in der „Presse am Sonntag“ zu Recht geschrieben hat.

Eine Reaktion wäre freilich falsch und fahrlässig: nichts zu tun, beziehungsweise in biblischer Interpretation („Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“) keinen Widerstand zu leisten. Frankreich und die Mehrheit der europäischen Staaten tun gut daran, die Militäraktion gegen die ISIS-Terroristen in Syrien und am besten auch noch im Irak massiv zu verstärken. Der kranke Terroranschlag traf nur Zivilisten, aber in Durchführung und Motivation war er militärischer Natur. Der Anschlag richtet sich gegen den Feind Frankreich, der in Syrien mit Alliierten und – hierzulande gern bequem vergessen – in Nordafrika einsam gegen die Islamisten militärisch vorgeht.

Das bedeutet für die Nato den Bündnisfall, militärischer Beistand muss geleistet werden. Österreichs Trittbrettfahrer-Neutralität wird wieder nur zu pathetischen Sonntagsreden und symbolischen Gesten einer angeblichen Solidarität führen. Die haben seit Freitagabend natürlich wieder Hochsaison: Dass ausgerechnet das Peace-Zeichen zu einem zentralen Symbol wurde, ist absurd. Mit Friedensliedern und Appeasement werden Mörder nicht aufgehalten, das wissen wir von Hitler bis bin Laden. Noch unerträglicher als die Liebe-Friede-Eierkuchen-Fraktion treten die rechtsradikalen Hetzer auf, die sich in ihrer Selbstgefälligkeit fast zu freuen scheinen, wenn Islamisten morden.

Mathias Döpfner, Chef des Springer-Verlages, hat am Sonntag einen bemerkenswerten Text in der „Welt“ verfasst. Unter dem Titel „Nicht unterwerfen, sondern kämpfen“ fordert er, dass die gesellschaftliche Mitte ihren „Freiheitswerten auf den Grund geht und sie kraftvoll verteidigt“. Und: „Die Antwort kann nur eine Politik der Stärke, der entschiedenen und selbstbewussten Verteidigung von Rechtsstaat, Demokratie, Religionsfreiheit, Marktwirtschaft und Menschenrechten sein. Von Entschiedenheit und Stärke aber ist in Kontinentaleuropa wenig zu spüren.“ Döpfner hat recht. Wenn nicht einmal bei diesem Anlass die EU steht, kann jedes Mitgliedsland die Idee vergessen und notfalls Alternativen andenken – von Kerneuropa bis zu einem Schweizer Modell.

Neben dem entschiedenen Kampf gegen den Terror wird der Umgang – die Verwendung des Begriffes Lösung wäre naiv – mit dem Flüchtlingsstrom zum Fanal der Union. In den vergangenen Stunden wurde bekannt, dass einer der Terroristen mit dem Flüchtlingstreck aus der Türkei über Griechenland und wohl über Österreich gekommen sein könnte.


Das ist beunruhigend. Doch leider lassen sich junge Männer für den Terror auch in den Vororten von Paris, in britischen und belgischen Städten oder vielleicht sogar in Wien-Favoriten rekrutieren. Und: Auch ganz ohne Terrorgefahr müssten wir endlich ein Konzept für die Flüchtlinge haben. Sie viel früher registrieren, rascher prüfen und dann als Flüchtlinge anerkennen oder konsequent abschieben. Und die, die bleiben, richtig und auch streng integrieren. Die Gefahr, dass unter den Flüchtlingen Terroristen sind, ist wesentlich kleiner als die, dass aus Flüchtlingen Terroristen werden.

Die Anschläge von Paris müssen eines bewirken: Wach endlich auf, schönes, altes, morsches Europa! Bevor es zu spät ist.

E-Mails an: chefredaktion@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.11.2015)

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