Der Rechtsstaat bleibt die gültige Antwort auf den Islamischen Staat

Paris France
Paris France(c) imago/ZUMA Press (imago stock&people)
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Nach den Pariser Anschlägen wird erbittert über die angemessene Reaktion Europas diskutiert. Dabei hätten wir uns längst auf eine festgelegt.

In der Woche nach den Terroranschlägen vom 13. November in Paris haben sich im Wesentlichen drei Reaktionsdenkschulen herausgebildet. Die erste, der auch der französische Staatspräsident, François Hollande, angehört, sieht in dem Massaker eine Kriegserklärung der Terrororganisation IS. Und reagiert, indem er Frankreich, das längst militärisch gegen Terrororganisationen vorgeht, offiziell in den Krieg führt. Nach innen mit drei Monaten Ausnahmezustand. Nach außen mit dem Ruf der EU-Partner zu den Waffen. In der Rhetorik etwa so wie die USA nach dem 11. September.

Die dem entgegengesetzte Schule setzt lieber auf Jens Stoltenberg als auf George W. Bush. Ihnen dient die Haltung des ehemaligen norwegischen Ministerpräsidenten und jetzigen Nato-Generalsekretärs nach dem Massaker des Anders Behring Breivik als Vorbild, der am 22. Juli 2011 in Oslo und auf der Ferieninsel Utøya 77Menschen ermordet hat. Mehr Demokratie, mehr Offenheit und mehr Menschlichkeit, war Stoltenbergs Antwort damals.

Die dritte Schule will sich weder in einen Kriegszustand noch eine Wertedebatte mit der IS und seinen Terroristen begeben. Für sie tut man den Verbrechern zu viel der Ehre an, wenn man sie als Gegenüber eines Krieges akzeptiert und ihnen damit auf Augenhöhe begegnet. Diese Denkschule lehnt es auch ab, das terroristische Treiben als denkbares Gegenmodell zu unserer Art zu leben zu akzeptieren. Wahllos Menschen umzubringen ist keine Haltung, es handelt sich schlicht um Verbrecher, denen man mit den dafür vorgesehenen Mitteln beikommen muss. Die vorgesehenen Mittel sind jene, die unsere Verfassung, unser Strafrecht festschreiben.

Der Vorteil an Reaktion eins ist eindeutig, dass man sichtbar etwas unternimmt. Es ist politisch opportuner, den Notstand auszurufen und Kampfjets aufsteigen zu lassen, als nur zahnlos auf fundamentale Werte wie Demokratie und Meinungsfreiheit zu verweisen. Vor allem im Fall eines zeitnahen Folgeanschlags in Europa, den niemand ausschließen kann, braucht man sich nicht vorwerfen lassen, untätig gewesen zu sein. Allerdings müssen sich Hollande und Co. schon fragen lassen, ob vier große Anschläge in Europa seit 2001 diese massive Reaktion rechtfertigen, und, worin denn nun genau der Paradigmenwechsel des Freitags, des 13. zu den Anschlägen davor besteht.

Die Variante Stoltenberg hat neben dem Umstand, dass man einmal abwarten kann, wie sich die Sache weiterentwickelt (Mali verheißt allerdings nichts Gutes), ohne voreilig Freiheitsrechte zu opfern, auch tatsächlich für sich, dass sie den Zielen der Attentäter diametral entgegenläuft und damit auch als politisches Statement eine valide Gegenposition zur Haltung der Radikalen einnimmt. Allerdings wäre diese Position bei einer weiteren Intensivierung der Anschläge in Europa wohl kaum durchzuhalten. Die Verantwortlichen müssten sich zu Recht fragen lassen, ob sie alles für den Schutz ihrer Bürger getan haben.

Es spricht vieles dafür, dass die dritte Denkschule der Situation am angemessensten ist. Nämlich, alle Mittel einzusetzen, die unserer Verfassung zur Bekämpfung solcher Verbrechen zur Verfügung stehen und weiter direkt gegen Terrorhochburgen militärisch vorzugehen, wie das Frankreich schon bisher getan hat, sich aber nicht in einen Mahlstrom aus Reaktion und Gegenreaktion hineinziehen lassen, an dessen Ende der Zweck alle Mittel heiligt. Der Rechtsstaat hat längst bewiesen, dass er dem Terror auf Dauer überlegen ist.

Allerdings wirken seine Sanktionsmöglichkeiten in extremen Fällen von Gewalt den Taten oft nicht angemessen. Dafür ist Anders Breivik das deutlichste Beispiel. Der Einzeltäter sitzt lebenslänglich in Einzelhaft und prozessiert mit Norwegen über seine Haftbedingungen und darüber, ob so sein Politikwissenschaftsstudium an der Osloer Uni möglich ist. Mehr als lebenslänglich sieht das Gesetz auch für ihn nicht vor. Das ist angesichts solcher Verbrechen für viele schwer auszuhalten. Wer die Sache zu Ende denkt, wird aber keine Alternative zu diesem Vorgehen finden – dem glaubwürdigsten Zeichen eigener Stärke.

E-Mails an: florian.asamer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2015)

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