Die Ego-Außenpolitik Putins und Erdoğans ist brandgefährlich

Die Türkei und Russland sind eng verflochten. Der Abschuss der Suchoi sollte deshalb rasch vergessen sein. Doch in Ankara und Moskau regieren Hitzköpfe.

Wladimir Putin wählte drastische Worte. Das war der zornige russische Präsident sich und seinem Publikum offenbar schuldig. Der Abschuss eines russischen Kampfflugzeugs durch die türkische Luftwaffe sei ein „Dolchstoß in den Rücken“, ausgeführt von „Komplizen der Terroristen“. Der Zwischenfall werde ernste Folgen für die russisch-türkischen Beziehungen haben, donnerte der Kreml-Chef.

Dabei präsentierte Putin, wie das in strittigen Fragen üblich ist, seine eigene Version des Tathergangs. Auf den Vorwurf, die russische Suchoi 24-M habe türkischen Luftraum verletzt, ging er gar nicht erst ein. Die Maschine sei über syrischem Territorium vom Himmel geholt worden, einen Kilometer von der türkischen Grenze entfernt, behauptete Putin.

Die Türken legten ihrerseits Radarbilder vor, die zeigen sollen, wie der russische Kampfjet in türkisches Gebiet eingedrungen ist. Die russischen Piloten seien zehnmal erfolglos gewarnt worden. Diese Darstellung teilte die türkische Regierung später auch mit den Botschaftern der Nato, die sie zu einer Sondersitzung bat. So schnell kann es also gehen, dass die transatlantische Allianz in einen Konflikt mit Russland gezogen wird.

Wenn die Staatsführungen in Moskau und Ankara ihre Interessen nüchtern abwägen, dann wird der Zwischenfall schnell vergessen sein. Es wäre töricht, deswegen die florierenden Wirtschaftsbeziehungen zu riskieren. Beide Länder sind aufeinander angewiesen. Die Türken beziehen fast 60 Prozent ihres Erdgases aus Russland und fungieren als Schlüsseltransitland im Gazprom-Energienetz. Der Deal, den die Türkei und Russland Ende 2014 über den Bau einer Pipeline abgeschlossen haben, ist 15 Milliarden Dollar schwer. Soll das nun alles auf dem Spiel stehen? Auch das Abkommen zum Bau eines Atomkraftwerks in Mersin? Vielleicht gar die Türkei-Urlaube russischer Touristenmassen?

Ein Blick auf die Wirtschaftsstatistiken müsste die Macho-Präsidenten Russlands und der Türkei rasch zur Vernunft kommen lassen. Doch Wladimir Putin und – in stärkerem Ausmaß noch – Recep Tayyip Erdoğan haben in der jüngsten Vergangenheit bedenkliche Tendenzen erkennen lassen, außenpolitische Angelegenheiten allzu persönlich zu nehmen. Das soll bei Autokraten, die kaum Widerspruch erdulden müssen, bisweilen vorkommen. Die Konsequenzen können fatal sein. Die Maidan-Proteste und den Umsturz fasste Putin auch als Affront auf; es folgte die recht einsame Entscheidung, die Krim zu annektieren, mit all den Folgekosten, die Russland bis heute zu tragen hat. Erdoğan wiederum kündigte das strategische Bündnis mit Israel nicht zuletzt deshalb auf, weil er sich im Gaza-Krieg 2008 hinters Licht geführt fühlte. Seine Männerfreundschaft zu Assad wiederum schlug nach Ausbruch des syrischen Bürgerkriegs in unversöhnlichen Hass um. Seither pocht die Türkei unbeirrbar wie sonst kaum ein Staat auf die Absetzung des syrischen Präsidenten.

Das Assad-Dilemma spaltet auch Erdoğan und Putin. Russland stützt seinen syrischen Schützling mit allen Mitteln, auch militärischen. Der Türkei indes waren fast alle Verbündeten recht, auch radikale, um Assad zu stürzen.

Beide Staaten gehören zum Kern der in Wien etablierten Syrien-Kontaktgruppe, die helfen soll, den verheerenden Bürgerkrieg nach fast fünf Jahren und mehr als einer Viertelmillion Toten endlich friedlich beizulegen. Umso ernüchternder ist der jetzige Zwischenfall: Die Türkei und Russland sind trotz mehrerer Konferenzen nicht einmal in der Lage, sich militärisch so abzustimmen, dass sie sich gegenseitig keine Kampfflugzeuge abschießen. Auch die weltweite Allianz gegen den sogenannten Islamischen Staat hat man sich anders vorgestellt. (Was hatte das russische Kampfflugzeug eigentlich in einer Gegend zu suchen, in der turkmenische Rebellen, nicht aber der IS agiert?)

Das gibt wenig Anlass zu Optimismus für die Tragfähigkeit der beschworenen neuen Anti-IS-Achse und die weiteren Syrien-Verhandlungen. Und es zeigt vor allem, wie brandgefährlich der Krieg in Syrien ist, in den mittlerweile fast alle Groß- und Regionalmächte verwickelt sind. Das ist der Stoff, aus dem schon Weltkriege entstanden sind.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.