Die Toleranz gegenüber den Intoleranten hat ihre Grenzen

Einen Teil der Freiheit opfern, um den Rest in Sicherheit zu genießen? Wir tun es ohnehin schon. Das neue Staatsschutzgesetz ist nicht das große Problem.

Größtmögliche Freiheit in größtmöglicher Sicherheit: ein Ideal, das zu erreichen immer schwieriger wird. Wir werden also einen Teil unserer Freiheit aufgeben müssen – und tun das ja eh schon –, um den Rest an Freiheit in Sicherheit genießen zu können. Dieser Rest ist aber immer noch beträchtlich. In Österreich noch mehr als etwa in Frankreich, wo gerade der Ausnahmezustand herrscht.

Dennoch wird von manchen Kritikern des neuen Staatsschutzgesetzes so getan, als stünde auch in Österreich der Ausnahmezustand unmittelbar bevor. Weil nun auf einmal auch im Bereich der Staatssicherheit V-Leute eingesetzt werden können? Wie dies in anderen Bereichen – bei der organisierten Kriminalität, im Drogenhandel – längst üblich ist. Weil Daten von potenziell gefährlichen Personen nun sechs Jahre statt neun Monate gespeichert werden können? Von einer echten Vorratsdatenspeicherung ist dieses Projekt weit entfernt.

Man kann der rot-schwarzen Bundesregierung grundsätzlich vieles vorwerfen. Aber im Fall des Staatsschutzgesetzes wird man nicht von einem Huschpfuschgesetz reden können. Es wurde monatelang verhandelt, zahlreiche Experten verschiedener Ebenen waren eingebunden. Und herausgekommen ist letztlich eine doch recht behutsame, ausgewogene Handlungsanleitung für die Staatspolizei, die sich mittlerweile Bundesamt für Verfassungsschutz nennt.

Die parlamentarische Kontrolle wird gestärkt. Ebenso die Rolle der Rechtsschutzbeauftragten. In die Bestellung des diesbezüglichen Dreiersenats sind Bundespräsident, Bundesregierung, Parlament, Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof eingebunden. Die Macht unterliegt also der Kontrolle. Zumindest auf dem Papier.

Dass die Verhandlungen zum neuen Staatsschutzgesetz trotz Differenzen zwischen SPÖ und ÖVP davor nun doch überraschend rasch zu einem Abschluss gekommen sind, wird wohl auch seinen Grund in den Terroranschlägen von Paris haben. Aber dies nun als billige parteipolitische Effekthascherei abzutun wäre falsch. Denn natürlich muss der Staat Zeichen setzen – je entschlossener, desto besser –, dass er bereit ist, die Verfassung gegen seine Feinde zu verteidigen.

Dass der islamistische Terror zunimmt, ist evident. Ebenso ist – nicht zuletzt auch als Reaktion darauf – der Rechtsextremismus wieder erstarkt. Und dreht sich diese Spirale weiter, wird auch der Linksextremismus zunehmen.

Und gegen diese Feinde des liberalen Verfassungsstaates braucht Letzterer eben die nötige Handhabe. Das werden auch Liberale – oder jene, die glauben, es zu sein – einsehen müssen. Wobei echten Liberalen ohnehin klar ist, dass es die größtmögliche Freiheit des Einzelnen nur im Schutz eines für alle geltenden gesetzlichen Rahmens geben kann. Eines Rechtsstaats eben.

Und es ist nicht angebracht, den Intoleranten gegenüber besonders tolerant zu sein. Der Terrorismus fordert den Staat heraus – und dieser muss eine entsprechende Antwort geben.

Dass diese nicht nur polizeilich ausfallen kann, sondern der Staat auch als Soft Power auftreten muss, liegt auf der Hand. Auf die Gefahr des islamistischen Terrors umgelegt: Neben der Überwachung heimgekehrter Islamisten, dem Sammeln von Autokennzeichen vor Moscheen radikaler Vereine – wie im neuen Gesetz vorgesehen – muss es auch vielfältige Integrationsmaßnahmen geben, die Ghettobildung, Parallelgesellschaften und Radikalisierung verhindern.

Dass Österreich von Anschlägen, ausgehend von der Islamistenszene, bisher verschont geblieben ist, heißt nicht, dass es diese bei uns nicht gibt. Wie Mohamed Mahmoud, mittlerweile eine große (Medien-)Nummer im IS, beweist. Oder die Aushebung der Grazer Salafistengruppe um Ebu Tejma.

Wenn etwas passiert – was wir nicht hoffen –, werden alle fragen: Wie konnte das geschehen? Die staatlichen Behörden benötigen also bestmögliche Instrumente bei größtmöglicher Kontrolle. Im Idealfall: einen verschärften Staatsschutz auf Zeit. Mit Aufhebung der Einschränkungen nach Wegfall der Gründe.

E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2015)

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