Reformen im Gesundheitssystem: Gute Idee, dilettantische Umsetzung

Clemens Fabry
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Das österreichische Gesundheitssystem muss reformiert werden. Die Stadt Wien zeigt vor, wie man es besser nicht macht.

Die Idee ist gut, die Umsetzung leider nicht. Das ist offenbar das Schicksal von Reformen in Österreich. Das betrifft die Steuerreform, deren Gegenfinanzierung auf dem Prinzip Hoffnung und Steuererhöhungen basiert. Das betrifft die Bildungsreform, die ein Produkt des allerkleinsten gemeinsamen Nenners ist, auf den sich die völlig zerstrittene Bundesregierung gerade noch einigen konnte. Und das betrifft die Reform des Wiener Gesundheitswesens. Letztere ist ein Paradebeispiel für die Situation im österreichischen Gesundheitswesen. Und wie man es besser nicht macht.

Ausgangspunkt war eine Situation, wie sie österreichweit im Gesundheitssystem herrscht: explodierende Kosten, überlaufene Ambulanzen, Ineffizienz, die sich auch auf Patienten auswirkt – in Form langer Wartezeiten auf wichtige medizinische Untersuchungen. Der Beschluss einer radikalen Neuaufstellung und Modernisierung des Wiener Spitalssystems im Jahr 2011 war absolut notwendig. Immerhin sind die Standortkosten für die alten Pavillons (ein Konzept aus dem vorigen Jahrhundert) finanziell nicht mehr tragbar, für Patienten unzumutbar, und die Kosten für die zu hohe Zahl von Akutbetten belasten das Budget. Nebenbei: Die Behauptungen, die Reformen seien erst nach handfesten Skandalen im Wiener Spitalswesen (Stichwort: Psychiatrie, Pflege) eingeleitet worden und außerdem dem Diktat leerer Stadtkassen geschuldet, sind natürlich nur böse Gerüchte. Meint die Stadtregierung.


Die Grundidee des Wiener Spitalskonzepts ist jedenfalls gut: Kleinere, ineffektive Standorte werden geschlossen, aus zwölf Gemeindespitälern werden sechs Vollspitäler (das AKH bleibt unberührt). Damit können teure, überschüssige Akutbetten abgebaut werden, ohne die medizinische Qualität für die Patienten zu beeinträchtigen. Zusätzlich erhält das medizinisch unterversorgte Gebiet jenseits der Donau, das bevölkerungsmäßig enorm wächst, mit dem Spital Nord das modernste Hightechspital Europas. Dass es wegen Fehlplanungen, Missständen und völliger Überforderung des Wiener Krankenanstaltenverbundes (er steht unter der politischen Verantwortung von Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely) auch eines der teuersten Spitäler Europas werden könnte (die Kosten wurden mehrfach nach oben auf derzeit eine Milliarde Euro korrigiert) – darüber wollen wir uns als gelernte Österreicher nicht wundern.


Aber, man kann immer etwas verbessern – weshalb das Spitalskonzept überarbeitet wurde. Nach „Presse“-Informationen, die nicht dementiert wurden, gibt es künftig Schwerpunkt- statt Vollspitäler. Das führt zu Situationen, die Patienten als Frotzelei empfinden werden. Die 400.000 Wiener, die jenseits der Donau leben werden, bekommen zwar ein milliardenschweres Hightechspital vor die Haustür gestellt, um ihre medizinische Unterversorgung zu beenden. Das hilft ihnen aber nichts, wenn sie nicht die dazupassende Erkrankung haben. Vielmehr müssen diese Patienten damit oft einen längeren Weg zurücklegen als noch vor der Reform.

Abgesehen von diesem Schildbürgerstreich wird es bei einem anderen Punkt ernster: Nach einem Kahlschlag bei Abteilungen und Ambulanzen werden Patienten mit nicht kritischen Erkrankungen bei den noch vorhandenen Ambulanzen in den niedergelassenen Bereich umgeleitet. Das ist absolut sinnvoll – würden dort nicht schon heute Kapazitäten fehlen. Auf Spitalstermine für CT und MRT müssen Patienten monatelang warten, weil die Reduktion der Arbeitszeiten der Spitalsärzte nun voll durchschlägt. Diese ist zwar seit zehn Jahren bekannt, Wien hat das völlig verschlafen, weshalb das Gesundheitssystem nun nicht darauf vorbereitet ist. Als Folge bekommen Wiener selbst bei Verdacht auf einen Tumor erst Monate später einen Termin beim Radiologen. Auch, weil die Kapazitäten im niedergelassenen Bereich von den Krankenkassen gedeckelt wurden. Die Folge: Wer im oben genannten Fall nicht privat bezahlt, um sofort einen Termin zu bekommen, riskiert, dass ein Tumor inoperabel wird. Womit die (von der Wiener Stadtregierung) stets dementierte Zweiklassenmedizin nicht mehr zu leugnen ist.

E-Mails an: martin.stuhlpfarrer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.12.2015)

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