Wut tut gut. Aber die Antwort auf Köln muss Härte sein, nicht Hetze

Ein Männermob mit Migrationshintergrund löst rechts wie links Feuerwerke an stereotypen Reaktionen aus. Dabei lassen sich die Nebel leicht lichten.

Ausgelassene Stimmung – Feiern weitgehend friedlich.“ Dieses Motto über einer Pressemitteilung der Kölner Polizei am Neujahrsmorgen kann man getrost jetzt schon zur Falschmeldung des Jahres küren. Tatsächlich hatte vor den Augen einer unfähigen Exekutive ein zeitweiliger Zivilisationsbruch stattgefunden: Auf dem Bahnhofsvorplatz und auf der Domplatte bedrängte eine Horde von Hunderten Männern Frauen sexuell und beraubte sie. Tagelang informierten nur Facebook und lokale Medien darüber, wie ein enthemmter Mob inmitten des fröhlichen Treibens die mühsam errungenen Werte unserer Zivilisation mit Füßen getreten hatte.

Bis heute hat sich der Rauch über diesem gespenstischen Auftakt für 2016 nicht gelichtet. Der tiefere Grund: Die Opfer haben ihre Aggressoren, die sich nach so viel Verzögerung kaum noch fassen lassen, übereinstimmend als „arabisch oder nordafrikanisch aussehend“ beschrieben. Das genügte anfangs für eine Beißhemmung überregionaler Medien. Sie ist nicht zu rechtfertigen, auch wenn man sie verstehen mag. Denn freilich haben Pegida und Co. auf einen solchen GAU für Merkels Flüchtlingspolitik, der die Stimmung kippen lässt, sehnsüchtig gewartet. Nun wird in Politik und sozialen Netzwerken das ganze Arsenal an stereotypen Reaktionen verpulvert: Nebelkerzen von links, Stinkbomben von rechts.

Dabei lässt sich, wenn auch fast eine Woche zu spät, durchaus klarer sehen. Zunächst: Aktuelle Asylwerber fanden sich laut Polizei keine oder nur wenige unter den Tätern. Es dominierten kleine, polizeibekannte Diebesbanden, die sich spontan zusammenrotteten, ergänzt um betrunkene, enthemmte Passanten. Auch war die Demütigung der Frauen weniger Ziel als Mittel der Aktion: Das Antanzen soll sie verstören und ablenken, um ihnen leichter die Geldbörse aus der Tasche ziehen zu können. Diese Masche praktizieren Trickdiebe aus Nordafrika, vom Balkan und aus „anderen Ländern“, die schon länger in Deutschland leben, erklären nun die Längst-schon-Experten. Aber immer geht es um junge Männer, die in (Parallel-)Gesellschaften mit mehr oder weniger antiquierten, abwertenden Frauenbildern groß geworden sind. Stimmt schon: Auch in original teutonischen Eigenheimen, auf dem Oktoberfest und an der Hotelbar unter liberalen Politprofis gibt es Sexismus und Übergriffe. Aber es gab in unseren Gesellschaften noch kein Massenhalali auf Frauen als Freiwild, das Angst und Schrecken verbreitet. Nein, im Allgemeinen sind die Beziehungen zwischen den Geschlechtern von Respekt und Vertrauen geprägt. Darauf können, darauf müssen wir stolz sein – und dürfen einen Rückfall ins Mittelalter, auch wenn er in exaltierter Feierlaune anfangs kaum auffällt, nie und nimmer dulden.


Das alles aber rechtfertigt nicht das dumpfe „Wir haben es ja schon immer gewusst“ der Populisten, und erst recht nicht die hasserfüllte Häme der Extremen im Netz. Selbst wenn in Köln doch auch Flüchtlinge am üblen Werk gewesen sein sollten: Unrecht tun Individuen, keine Ethnien. Wir nehmen Schutzbedürftige auch nicht danach auf, ob sie gut zu uns passen, sondern, weil sie ein Recht auf Schutz haben. Eben dieser Rechtsstaat, bei dem sie Zuflucht finden, ist auch dazu da, uns alle vor Zivilisationsbrüchen zu bewahren. Er hat die Mittel dazu, er muss sie nur anwenden: Polizeigewahrsam, Platzverweis, Haft – und natürlich die Abschiebung straffälliger Asylwerber. Auch das sieht die Genfer Flüchtlingskonvention vor: Wer „als eine Gefahr für die Sicherheit“ anzusehen ist, hat sich selbst dem Schutz in seinem Gastland entzogen.

Die späte Wut über die Ausschreitungen von Köln tut gut, wirkt befreiend und läuternd. Aber sie muss erkennen, wo die Frontlinie im „Kulturkampf“ wirklich liegt. Scheinbare Pole berühren sich. Auch die Hasspostings gegen Flüchtlinge zeugen von Feindseligkeit gegen die offene Gesellschaft: Statt Frauen fallen in ihnen Ausländer der pauschalen Verachtung anheim. Und die große Mehrheit der Friedfertigen? Schutzbedürftig sind wir nun alle. Aber wir haben die Werte der Aufklärung zu verteidigen, für die sich jeder Einsatz lohnt.

karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2016)

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