Ein Hochstapler namens Republik Österreich

Während Politiker höhere Steuern eifrig dementieren, wissen hinter den Kulissen alle: Sie werden kommen.

Mehr hat Bernhard Felderer nicht gebraucht: Dass der Wirtschaftsforscher und oberste Schuldenwächter des Landes in einem „Presse“-Interview laut über höhere Mehrwertsteuern zur Sanierung des schwer überschuldeten Staatshaushalts nachdenkt, löst einen Sturm der Entrüstung aus. „Sozial unverträglich“, „verteilungspolitisch problematisch“ bis hin zu „unsozial“ und „verantwortungslos“ lauten die nicht gerade überschwänglichen Reaktionen aus den Reihen der ansonsten für Steuererhöhungen leicht zu begeisternden Politik.

Diese ablehnende Haltung dürfte teilweise damit zu tun haben, dass die Mehrwertsteuer eine höchst sensible Materie ist: Sie trifft erstens alle. Und zweitens jene, die über niedrige Einkommen verfügen, am stärksten. Zudem haben höhere Massensteuern den gravierenden Nachteil, sich vor wichtigen Wahlen (wie etwa den anstehenden in Oberösterreich und Wien) nicht sonderlich gut zu machen.

Ganz abgesehen davon, sind höhere Abgaben in einem Höchststeuerland wie Österreich schon grundsätzlich abzulehnen. Allerdings mehren sich die Hinweise darauf, dass sich über beide Ohren verschuldete Staaten den Luxus hygienisch-ideologischer Grundsatzdebatten längst nicht mehr leisten können. Dafür spricht, dass hierzulande mit Bernhard Felderer ausgerechnet ein liberaler Ökonom höheren Mehrwertsteuern das Wort redet, während in Deutschland mit Klaus Zimmermann (DIW) ein betont staatsfreundlicher Wirtschaftsforscher die Anhebung der Mehrwertsteuer auf 25 Prozent fordert.

Beide Herren wissen, dass ihre Staaten seit Jahren über ihre Verhältnisse leben und dass es in beiden Ländern an politischen Reformern fehlt, die auch nur annähernd in der Lage wären, der Bevölkerung unpopuläre Sparpakete zu verkaufen. Wer das nicht kann, wird früher oder später auf höhere Einnahmen zurückgreifen müssen, um einen Staatsbankrott zu vermeiden.

Während Deutschland noch die enormen Kosten der Wiedervereinigung für die zerrütteten Staatsfinanzen anführen kann, grenzt die Finanzgebarung der kleinen Republik Österreich längst an dreiste Hochstapelei. Das lässt sich schon daran ablesen, dass unser Land neue Schulden aufnehmen muss, um die Zinsen für bestehende Verbindlichkeiten begleichen zu können. Dieser Umstand wird von der Politik gern als „vorübergehend“ beschrieben.

Dabei würde im Haushalt der Republik laut Finanzministerium heuer auch ohne Wirtschaftskrise ein Loch von rund neun Milliarden Euro klaffen. Die öffentliche Hand verschuldet sich selbst bei konjunkturellem Rückenwind, weil sich die Lenker des Staates seit Jahrzehnten weigern, die Kostenstrukturen in Ordnung zu bringen.

Selbst die spärlich anfallenden Jahre der Hochkonjunktur wurden dazu genutzt, nicht vorhandenes Geld in großem Stil umzuverteilen: an die Beschäftigten einer heillos überbordenden Bürokratie, an die Landesfürstentümer samt Hofschranzen, an hunderttausende plötzlich von der Invalidität heimgesuchte Frühpensionisten, an die Direktoren und Mitarbeiter von 19öffentlichen Krankenkassen, an unzählige Bezirkshauptmannschaften, an 42.000 Mitarbeiter der ÖBB, an die vor dem Bankrott stehenden Austrian Airlines, die heimische Landwirtschaft und so weiter und so fort.

Seit den 1970er-Jahren hat der Staat ein einziges Mal (!) keine Schulden aufgenommen – das war im Jahr 2001 unter dem damaligen Finanzminister Karl-Heinz Grasser. Erreicht wurde dieses als Naturwunder bestaunte „Nulldefizit“ nicht durch ein beinhartes Sanierungsprogramm, sondern durch die höchste Steuer- und Abgabenquote in der Geschichte der Zweiten Republik. In diese Richtung wird es auch jetzt wieder gehen. Bis 2013 werden die Budgetdefizite zwischen vier und fünf Prozent der Wirtschaftsleistung pendeln, der Schuldenberg wird sich von 165 Milliarden Euro auf 240 Milliarden Euro erhöhen.


Nun kann man Herrn Felderer freilich vorwerfen, eine Debatte in Gang gesetzt zu haben, die in erster Linie die primitiv-ökonomischen Instinkte der Politik bedient: Bevor auch nur der erste Cent eingespart wurde, wird schon über höhere Einnahmen diskutiert, womit auch der Reformdruck für die öffentliche Hand spürbar nachlässt.

Allerdings wird niemand Felderer vorhalten können, die Bevölkerung über das realistischste aller Szenarien im Unklaren gelassen zu haben. Wenn die Krise einmal überwunden ist, wird es zu höheren Steuern kommen. Auch, wenn das allerorts bestritten wird.


franz.schellhorn@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2009)

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