Österreich, der Dominostein der Festung Europa

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FL�CHTLINGE(c) APA/ERWIN SCHERIAU
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Österreich unternimmt eine 180-Grad-Drehung in der Flüchtlingspolitik. Das ist richtig und alternativlos. Die Durchführung zur Zielerreichung bleibt vage.

An dieser Stelle ersparen wir uns eine einigermaßen unterhaltsame Auflistung von Aussagen Werner Faymanns und seiner Mitstreiter über die Unmöglichkeit, konkrete Zahlen an Flüchtlingen zu nennen, die Österreich aufnehmen kann. Über die humanitäre Unmöglichkeit, Menschen an Grenzen abzuweisen oder diese in der EU streng kontrollieren zu wollen. Irrelevant ist es auch, an die Empörung zu erinnern, die Sozialdemokraten und Freunde angesichts von Forderungen – etwa von Sebastian Kurz – angestimmt haben, die nun von Faymann und der Bundesregierung mehr als erfüllt werden. Die 180-Grad-Wende von der Politik der offenen Arme und Grenzen hin zum Stoppsignal musste passieren, auch wenn sie weder angenehm noch nobel ist. Das nennt man Politik.

Die Reaktionen aus Europa klingen fast verständnisvoll, dass Österreich wie Schweden die Aufnahme so vieler deutlich reduzieren will. Viel spricht dafür, dass das Vorgehen ausnahmsweise überregional abgesprochen war, dass Deutschland, Slowenien und andere folgen werden. In Österreich gibt es anderslautende Antworten auf den ersten Asylgipfel, der den Namen verdient: Wir schaffen die Menschenrechte ab, setzen die Genfer Flüchtlingskonvention aus, gehen vor den Rechtspopulisten in die Knie.

Das ist nicht richtig.

Die Genfer Flüchtlingskonvention würde dann gebrochen, wenn Europa Menschen an der EU-Schengen-Grenze zurückschickte, die Asyl verdienen. Und soweit bekannt ist, wird dies bis auf Weiteres auch an den Grenzen Österreichs nicht passieren. Syrische Verfolgte werden weiterhin Aufnahme in Österreich finden. Rigoros werden aber Menschen abgewiesen, die ohnehin keine Chance auf Asyl haben, aber bisher etwa wegen Fehlens eines Rücknahmeabkommens mit ihrem Heimatland (wie mit Algerien und Marokko) in Österreich geblieben sind. Ohne Perspektive.

Apropos Menschenrechte und Würde: Wie nennt man eine Politik, die Menschen suggeriert, sie könnten nach Europa kommen, sie dann aber ohne Arbeit, ohne vernünftige Unterbringung und wie in Deutschland ohne effizienten Schutz vor Rechtsextremen karitativen Organisationen überlässt? Inhuman.


Das Problem an der angeblichen Lösung ist wie immer ihre Durchführung: Keiner kann sagen, wie die Grenzen tatsächlich geschützt werden sollen. Wie der freie Personenverkehr in den Schengen-Ländern dennoch funktionieren soll. Oder was passiert, wenn der 37.501. möglicherweise asylberechtigte Flüchtling an die Grenze klopft? Hart bleiben? Wird im Rechtsstaat wohl nicht umzusetzen sein. Der Kurswechsel ist ein symbolischer.

Zu befürchten ist, dass nun vor allem eine österreichische, eine europäische Reaktion einsetzt: verdrängen und vergessen. Genau das sollten wir verhindern: Wir werden intensiv darüber reden müssen, ob das moralische und finanzielle Ungleichgewicht in Europa weiter aufrechtzuerhalten ist. Kommen Länder wie unsere osteuropäischen Nachbarn damit durch, die Solidarität sofort über Bord zu werfen, wenn es um Probleme und humanitäre Verantwortung geht? Wenn wir wie in den vergangenen Tagen schon so viel über Kulturunterschiede reden: Wie soll eine Union funktionieren, wenn einige Länder im Osten signalisieren, dass sie unsere offene und tolerante Gesellschaft ablehnen und Xenophobie de facto akzeptieren? Gar nicht.

Wir werden auch ernsthaft diskutieren müssen, wie wir nach den kurzfristigen Notmaßnahmen in Europa mittel- und langfristig weitermachen: militärische Abschottung oder geregelte Zuwanderung mit zwingend neuer Umverteilung, also weniger Sozialsystem? Wie gehen wir rechtlich weiter vor? Bleibt die Genfer Konvention aufrecht, wird sie ausgehöhlt wie dieser Tage oder adaptiert?

Bevor Sie vor Genugtuung aufheulen, geehrter Herr Strache: Sie mussten noch nie etwas politisch verantworten.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2016)

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