Der silberne Schönheitswettbewerb

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Van der Bellen ist kein Grüner mehr, Hundstorfer und Khol wurden über Nacht volksnah: Warum bleiben die Kandidaten nicht bei ihrer Wahrheit? Bitte diese Wahl nicht schon wieder hochstilisieren!

In welchem Land befinden wir uns: Ein Kardinal schreibt eine Kolumne in einer von der öffentlichen Hand üppig gesponserten Gratiszeitung. Diese nutzt der Geistliche, um einem christlich-sozialen Politiker die Leviten zu lesen, der im hohen Alter für ein hohes Amt kandidiert und mit religiösen Zitaten auf Stimmenfang geht.

Südamerika? Haiti? Oder doch im Vatikan? Nein, das ist Österreich, wo die Wahl von Zeitungen, Koalitionen und politischen Argumenten nie mit Überzeugungen, sondern mit Machterhalt oder Ausbau derselben zu tun hat. Kolumnist Christoph Schönborn hat übrigens recht: Das Gebot christlicher Nächstenliebe gilt nicht nur für Familie und Landsleute, sondern für die, die in Not sind, also auch Flüchtlinge. Nur: Mit Religion werden wir das Flüchtlingsproblem nicht lösen – und Andreas Khol wird mit solchen Sprüchen nicht in die Hofburg kommen.

Vielleicht war die an dieser Stelle vor Kurzem geäußerte Hoffnung naiv, dieser Wahlkampf um ein traditionell harmloses Amt könnte ein paar notwendige Debatten über die existenziellen Themen dieses Landes auslösen. Streichen wir das „vielleicht“. Bedauerlich ist das nicht nur, weil wieder Zeit und Ressourcen verschwendet werden, statt über europäische Außen- und Wirtschaftspolitik, über unsere Finanzierung, über das drohende Fiasko bei den Pensionen, eben die Flucht, ihre Ursachen und unseren Wertekanon zu reden, sondern auch weil wieder die übliche kurzatmige und -sichtige Kampagnen-Innenpolitik um sich greift.

Wer hat welche Chancen mit welchen Videos, Auftritten und Positionierungen, wird da etwa begeistert diskutiert. Diese letzte Übung lässt tief blicken: Wichtig ist in den nächsten Wochen also nicht die Meinung des Einzelnen, sondern wie ihn seine Berater (und natürlich die Gegner) positionieren. Alexander Van der Bellen ist also plötzlich kein Grüner mehr, sondern Obi-Wan Kenobi aus der ersten „Star Wars“-Trilogie, Rudolf Hundstorfer über Nacht Stahlarbeiter- und Stammtisch-Psychologe, Andreas Khol nun Menschenfreund und Bierzelt-Star, Norbert Hofer seit Kurzem Parteiliebling und Marathon-Mann, und Irmgard Griss Systemgegnerin und Jeanne d'Arc mit silbergrauem Haar. Schön, wenn man wirklich glaubt, was einem die Menschen einreden, die dafür bezahlt werden, einem etwas einzureden.

Aber wenn sich fünf erfahrene und mehr oder weniger verdiente Zeitgenossen diesen Silber-Schönheitswettbewerb antun, sollten wir ein bisschen dankbar sein. Hoffen wir auf politische Überzeugung und nicht nur Eitelkeit plus Parteidisziplin. Zumindest der Wahlkampf ist noch jung, und wir erleben ein paar spannende Gespräche.

Vielfach wird eine Symbolik bemüht: Scheitern SPÖ und ÖVP vor oder in der Stichwahl, hätten beide Parteichefs ein Problem. Dann könnten die intern bereits geführten Debatten über Kurs und Ziel öffentlich werden, würde der Druck stärker werden, einen anderen Stil zu finden. Könnte sich das Land ändern. Besser werden . . . Der war gut. Nein, das ist zynisch und zwecks Inszenierung hochstilisiert. Fünf brave (Alt-)Amtsträger treten an, gewählt wird der oder die, dem oder der man den Job zutraut. Und das war es dann auch schon wieder . . .

rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2016)

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