Ein zynischer Machtkampf bis zum letzten Syrer

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Solange externe Spieler in Syrien ihre Stellvertreterkriege austragen, ist an eine friedliche Lösung des blutigen Konflikts nicht zu denken.

Die Verhandlungen standen unter keinem guten Stern. Denn zunächst war nicht einmal klar, wer überhaupt an den Genfer Gesprächen teilnehmen will oder darf. Eine erste Weichenstellung dafür, wie das Blutbad in Syrien beendet werden könnte, war ohnehin nicht zu erhoffen. Und so taten die internationalen Vermittler, was sie in solchen Fällen immer tun – sie vertagten die Gespräche.

Fast genau fünf Jahre ist es her, dass Zigtausende Syrer gegen soziale Missstände, Vetternwirtschaft und die Willkür des Regimes zu protestieren begannen. Mittlerweile ist aus dem zunächst friedlichen Aufstand ein besonders grausamer Krieg geworden, mit einer Viertelmillion Toten und Millionen von Flüchtlingen. Der Konflikt ist das giftige Biotop, in dem Extremistengruppen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) erst so richtig wuchern konnten. Und ausländische Mächte führen hier ihre Stellvertreterkriege – wenn es sein muss, bis zum letzten Syrer.

Die externen Spieler bestimmten auch mit, wer auf die Einladungsliste für die Genfer Gespräche kommt. Die türkische Regierung etwa weigerte sich beharrlich, die stärkste Kraft der syrischen Kurden am Verhandlungstisch zu akzeptieren – weil diese eine Schwesterorganisation der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ist, die einen Untergrundkrieg gegen den türkischen Staat führt. Dafür setzte sich Russland umso mehr für diese syrisch-kurdische Gruppe ein. Das hat zwar Sinn: Denn die – von den USA militärisch unterstützten – Volksverteidigungseinheiten der syrischen Kurden sind eine der stärksten Waffen im Kampf gegen den IS. Doch zugleich ging es Moskau vor allem darum, Ankara eins auszuwischen. Seit dem Abschuss eines russischen Bombers durch die Türkei herrscht ja diplomatischer Kriegszustand zwischen beiden Ländern.

Das wichtigste syrische Oppositionsbündnis wiederum weigerte sich – mit Rückendeckung der Türkei und Saudiarabiens –, in die Gespräche in Genf einzutreten. Es verlangte, dass Syriens Regime zuvor die Belagerung von Städten und die Luftangriffe auf Zivilisten einstelle.

Solange nicht einmal die einfachsten Vorbedingungen für Verhandlungen geschaffen sind, ist es utopisch, an eine Lösung des Konflikts auch nur zu denken. Dafür brauchte es mehr guten Willen aller Beteiligter. Doch noch stehen zynische Strategiespiele im Vordergrund, und nicht der Wunsch, das Töten so rasch wie möglich zu beenden.

Ankaras strategisches Ziel etwa lautet: Wie immer eine Lösung aussieht, die autonomen Provinzen der syrischen Kurden müssen wieder von der Bildfläche verschwinden; auch wenn der Preis dafür ein Machtzuwachs für Jihadistengruppen ist. Zugleich will man – so wie Saudiarabien und die anderen Golfmonarchien –, dass Syriens Machthaber, Bashar al-Assad, zurücktritt und dessen Verbündeter, Iran, so seinen Einfluss nicht noch weiter ausbauen kann.

Assad fühlt sich jedoch im Aufwind. Genau zu der Zeit, in der in Genf die Diplomaten tagten, starteten seine Streitkräfte mit russischer Unterstützung eine neue Offensive. Moskau nutzt das Schlachtfeld Syrien dazu, um sich wieder in den Kreis der weltpolitisch Mächtigen zu bomben. Russland will den USA und den EU-Staaten zu verstehen geben, dass es jegliche Friedensbemühungen für Syrien leicht hintertreiben kann. Und sollten die jüngsten Attacken wie befürchtet abermals Zigtausende Syrer in die Flucht treiben, so wäre davon die Türkei betroffen – und in weiterer Folge die EU.

Als Russland seine Luftangriffe in Syrien startete, ging es auch darum, neben der Ukraine-Krise eine zweite Front im Machtkampf mit dem Westen zu eröffnen. An der Sanktionenfront dieses Kampfes geraten ohnehin bereits die ersten europäischen Politiker ins Wanken, wie der jüngste Besuchsreigen in Moskau zeigt. Und das, obwohl die wechselseitigen Strafmaßnahmen wegen der Ukraine-Krise Russland bisher stärker getroffen haben als die EU-Staaten.

Nach fast fünf Jahren Krieg sind die Kampflinien innerhalb Syriens so verworren, dass eine friedliche Lösung nur noch schwer zu erzielen ist. Solange aber auch noch externe Player hier ihre Konflikte austragen, ist sie unmöglich.

E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2016)

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