Die Einsamkeit der Angela Merkel und der Eifer der Nachrufschreiber

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Die Kanzlerin ist in der schwersten Krise ihrer Amtszeit. Für die Landtagswahlen im März kommt ihre Kurskorrektur wohl zu spät – nicht aber für sie selbst.

Hat Angela Merkel tatsächlich so eiserne Nerven, wie sie nach außen hin den Anschein erweckt? Im Kanzleramt in Berlin müsste angesichts der Kanzlerdämmerung, die am Horizont aufgezogen ist, eigentlich längst Panik um sich greifen. Nachdem die rot-grüne Koalition in Schweden und zuletzt auch Werner Faymann, in der Flüchtlingspolitik einer ihrer letzten Getreuen in der EU, in einer halsbrecherischen Volte von ihr abgerückt sind, ist es sehr einsam um die deutsche Kanzlerin geworden. Zehn Jahre nach ihrem Amtsantritt steckt sie in ihrer schwersten Krise, die nur zum Teil selbst verschuldet, zum Großteil wie ein Hurrikan über sie hereingebrochen ist. Wie andere hat sie die Vorzeichen des Massenexodus aus dem Nahen Osten nicht richtig gedeutet und nur reagiert, statt zeitgerecht zu agieren.

Merkel hat Deutschland und Europa mit Pragmatismus, Zähigkeit und einer kleinteiligen Strategie durch die Finanz-, die Euro-, die Griechenland- und die Ukraine-Krise manövriert. Irgendjemand musste ja die Führungsrolle übernehmen. Eine übergeordnete Vision zu entwickeln und sie auch mit großer rhetorischer Geste zu kommunizieren, war nie die Stärke der Pastorentochter. Diese Schwäche fällt ihr in der Flüchtlingsfrage auf den Kopf. Ihr sympathisch-optimistisches Mantra „Wir schaffen das“ und das immanente Vertrauen in ihre Führungs- und Gestaltungskraft haben sich weitgehend erschöpft.

Im Inland wie im Ausland, bei Parteifreunden wie politischen Gegnern, formieren sich Kritiker und Skeptiker gegen den Kurs der Kanzlerin: Horst Seehofer und seine CSU-Mannen als Speerspitze, Finanzminister Wolfgang Schäuble mit mehr oder weniger sublimen Spitzen, CDU-Rebellen im Bundestag und in den Ländern, die mit immer größerer Vehemenz einen Kurswechsel einfordern und insgeheim wohl Putschpläne für den Tag X schmieden, mittel-und osteuropäische Autokraten à la Orbán und Kaczyński und Jungpolitiker wie Italiens Matteo Renzi mit ihrer Abrechnung mit der Dominanz Deutschlands.

Der Deutschland-Trend in der ARD lieferte als Stimmungsbarometer ein schrilles Alarmsignal. Beinahe zwei Drittel der Deutschen sprechen sich für eine Obergrenze für Flüchtlinge aus, die Merkel bis dato kategorisch ablehnt. Mehr als drei Viertel glauben, die Regierung habe die Flüchtlingskrise nicht im Griff – ein katastrophaler Befund. Folgerichtig sind Merkels Popularitätswerte eingebrochen.

Es ist eine Sache, der Demoskopie blindlings zu folgen und daraus opportunistisch eine Handlungsanleitung für Politik abzuleiten. Eine andere ist es, davor die Augen zu verschließen und stur seine Politik zu verfolgen, im Vertrauen auf Gott und die eigene Genialität. Merkel hat aus Fehlern gelernt, ohne sie offen oder öffentlich einzugestehen. Inzwischen scheint sie – in kleinen Schritten, wie es ihrem Politikstil entspricht, womöglich zu zaghaft und zu spät – zu einer Kurskorrektur in der Flüchtlingspolitik entschlossen.

Sie schickte Innenminister Thomas de Maizière nach Kabul, um bei den Afghanen dafür zu werben, im Land zu bleiben. Ihre Regierung beschloss ein Asylgesetz mit restriktiveren Maßnahmen und dem Ziel, Abschiebungen zu beschleunigen. Mittlerweile machen sich Tausende Iraker von Deutschland aus auf den Heimweg. Ein Appell Merkels ging jüngst in diese Richtung, doch wäre es blauäugig zu glauben, dass nach einem Kriegsende in Syrien Hunderttausende in ihre Heimat zurückkehren würden. Und der Pakt mit der Türkei, die Fluchtwelle nach Europa zu stoppen, stellt sich zunehmend als haltlos heraus.


Bei den Landtagswahlen im März werden Merkel und ihre CDU die Quittung für den Volkszorn in der Flüchtlingskrise präsentiert bekommen. Die Nerven müssen sie deshalb nicht verlieren. Die Rechtspopulisten von der AfD werden kurzfristig Auftrieb erhalten, was sie nicht vor weiterer Selbstzerfleischung abhalten wird. Dass es fahrlässig wäre, sie voreilig abzuschreiben, hat Angela Merkel ein ums andere Mal bewiesen. Im „Profil“ hat Peter Michael Lingens eine „fiktive Abschiedsrede“ für sie aufgesetzt. Eine große TV-Rede in der Manier eines Barack Obama, in der die Kanzlerin die Herausforderungen darlegt, wäre überfällig, eine Rücktrittsrede notwendigerweise nicht.

E-Mails an: thomas.vieregge@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2016)

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