Die unangenehmen Wahrheiten

FLUeCHTLINGE: BAU DES GRENZZAUNS IN SPIELFELD
FLUeCHTLINGE: BAU DES GRENZZAUNS IN SPIELFELDAPA/ERWIN SCHERIAU
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Die Grenzen Österreichs nehmen leider wieder Konturen an. Die Idee, unseren Nachbarn auf dem Balkan nicht nur finanziell, sondern auch mit Polizei und Soldaten zu helfen, ist sinnvoll.

Sozialdemokratisch ist eine (noch) lebende Fremdsprache, die nicht leicht zu erlernen ist. Es gilt, alltägliche konkrete Begriffe oder Gegenstände mit völlig neuen Formulierungen zu beschreiben, die helfen, sich besser und wohler zu fühlen. Da heißt dann Obergrenze „Richtwert“ und eine Grenzbefestigung mit Zäunen nennen die linguistischen Talente in der SPÖ-Zentrale „Türen mit Seitenteilen“. Noch beraten die Gremien dem Vernehmen nach, wie man den Schwenk oder die 180-Grad-Drehung in der Flüchtlingsfrage nennen solle. Gute Chancen auf eine Nennung durch Werner Faymann hat: „natürliche Kalibrierung des aus Humanismus, Staatsverantwortung und Volksverbundenheit getragenen Kurses“. Aber das ist ziemlich lang und kompliziert.

In Wahrheit können die Sozialdemokraten heilfroh sein, dass sie mit ihrem neuen Verteidigungsminister, Hans Peter Doskozil, endlich jemanden in der Regierung haben, der drei Dinge beherrscht: Klartext reden, lösungsorientiert arbeiten und dem Koalitionspartner kompromissbereit begegnen. Vor allem diese Kompetenz ist im SPÖ-Regierungsteam völlig neu – spiegelverkehrt verhielt es sich bisher auch so in Reinhold Mitterlehners Truppe. Nun arbeiten Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Außenminister Sebastian Kurz mit dem SPÖ-Polizisten so zusammen, als wären sie fast ein Team. Dazu gehört es auch, gemeinsam sinnlose Kritik zu überhören. Wenn Außen- und Verteidigungsminister die Bereitschaft signalisieren, Beamte und Soldaten bei Bedarf nach Mazedonien, Kroatien und Slowenien zur Assistenz zu schicken, ist dies nicht großzügig, sondern logisch und beweist jene Solidarität, die der Rest Europas vermissen lässt. Denn in der Minute, in der Deutschland und Österreich ernsthaft nach dem Erreichen von Tageskontingenten die Grenzen schließen, wird das Problem an die Balkanländer, aber auch an Italien weitergegeben. Ja, das bedeutet die temporäre Rückkehr der Brenner-Grenze, die nicht nur die Südtiroler schmerzt.

Wie das künftige „Grenzmanagement“ (statt Grenzsicherung) genau funktionieren wird, lässt sich noch nicht sagen. Ob es wirklich schreckliche Bilder und den Einsatz von Gewalt geben wird, wie die Pessimisten und die Befürworter einer völlig offenen Flüchtlingspolitik fürchten, lässt sich nicht völlig ausschließen, mittels eines guten Einsatzes von geschulten Beamten und einer entsprechenden baulichen Infrastruktur lässt sich das Risiko wohl deutlich minimieren. Vor allem aber: Bisher kann keiner eine echte Alternative nennen. Auf Europa zu warten und hoffen ist keine. Ähnlich chancenreich ist die sofortige Durchsetzung des Weltfriedens.

Es hat eine Zeit lang gedauert, bis sich die unangenehme Wahrheit durchgesetzt hat, dass die Grenzen nicht einfach offen bleiben können, sondern für einige Zeit wieder kontrolliert werden müssen. Politik heißt, auf plötzlich völlig veränderte Rahmenbedingungen mit Veränderungen zu reagieren. All jenen, die diese Aufgabe sachlich und ohne populistisches Getöse sowie fern mieser Stimmungsmache angehen, gehört unsere Unterstützung. Ganz genau wie den Tausenden, die noch immer und täglich den tatsächlich Asyl verdienenden Flüchtlingen aus Syrien beim Leben in Österreich helfen.

rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2016)

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