Die Rolle des Zuchtmeisters steht Österreich in Mitteleuropa nicht zu

Oesterreichische Grenzuebergangsstelle
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Es ist töricht, EU-Staaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen, Finanzkürzungen anzudrohen. Österreich schadet sich mit der leeren Erpressung nur selbst.

Wann immer Politiker, Diplomaten oder Marketingleute darüber nachdenken, wie die große weite Welt das kleine Österreich sehen sollte, landen sie bei derselben steinernen Metapher: „Brückenbauer“ wollen die Österreicher gern sein. Sogar den Song Contest in Wien versahen sie mit dem Motto „Building Bridges“. Daran ist prinzipiell nichts auszusetzen, und völlig abgekoppelt von der Realität erscheint das Selbstbild auch nicht. Tatsächlich hat sich die neutrale Republik wiederholt als Ort der Begegnung angeboten: im Kalten Krieg, jüngst bei den Verhandlungen über Irans Atomprogramm und auch als Gastgeber von Syrien-Konferenzen.

Auch in der aktuell brennendsten Herausforderung Europas hätte die Bundesregierung Gelegenheit, vermittelnd zu wirken. Die EU ist tief gespalten in der Flüchtlingskrise. Während Deutschland, Schweden oder auch Österreich massenhaft Asylwerber aufnehmen, schotten und putzen sich andere ab. Insbesondere die neueren EU-Mitglieder Slowakei, Tschechien und Ungarn sträuben sich beharrlich gegen verpflichtende Quoten zur Verteilung von Flüchtlingen. Teils tragen die Debatten in Mittelosteuropa hysterische Züge. Dass in Ländern mit minimalem Ausländeranteil dermaßen überzogene Ängste vor Überfremdung und dem Islam grassieren, ist rational kaum nachzuvollziehen. Und doch existieren diese Stimmungen in den homogenen postkommunistischen Gesellschaften, und populistische Premiers wie Fico in der Slowakei oder Orbán in Ungarn schüren die Ressentiments auch noch.

Die Flüchtlingskrise ist der Höhepunkt einer Entfremdung zwischen „altem“ und „neuem“ Europa. Mit der Weigerung, ihren fairen Anteil an Asylwerbern aufzunehmen, haben sich Mittelosteuropäer den Vorwurf eingehandelt, unsolidarisch zu agieren. Andererseits fühlen sie sich überfahren, wollen selbst entscheiden, wie viele Migranten sie aufnehmen.

Ihre Position untermauern die Renegaten mit plausiblen Argumenten: Erstens kann eine Verteilung von Flüchtlingen erst funktionieren, wenn sich die Flüchtlinge an EU-Außengrenzen stoppen und auch verteilen lassen. Zweitens wollen die Flüchtlinge gar nicht in den Osten. Drittens herrscht in der EU Personenfreizügigkeit; auch wenn sie zugeteilt und an soziale Zuwendungen örtlich gebunden sind, werden sich Migranten letztlich dort niederlassen, wo sie sich am meisten erhoffen, notfalls als U-Boote.

Österreich, das sich so gern als Brückenbauer sieht, hätte versuchen können, auf die mittelosteuropäischen Nachbarn zuzugehen. Stattdessen drohte Werner Faymann den „unsolidarischen“ EU-Mitgliedern damit, künftig Gelder aus den EU-Strukturfonds zu streichen. Damit stieß er eine Drohung aus, die sich zwar nach starkem Mann im Bundeskanzleramt anhörte, aber ins Leere ging. Denn einer Änderung des EU-Budgets müssen alle zustimmen. Und kein Staat wird sich selbst bestrafen.

Widersinnig waren die Drohgebärden vor allem aber deshalb, weil es den Interessen Österreichs widerspricht, Partner einer Region zu vergraulen, die für die heimische Wirtschaft essenziell sind.


Der Mangel an diplomatischer Feinfühligkeit gegenüber Mittelosteuropa fügt sich in eine unrühmliche Tradition. So erfolgreich österreichische Unternehmen im „Osten“ nach 1989 auch waren, so viele Chancen ließ Österreichs Außenpolitik liegen. Auch jetzt wieder: Warum bauen Faymann und Außenminister Kurz keine „Brücken“ für die Nachbarn?

Sie könnten eine Kontingentlösung vorschlagen, die so aussieht: Jedes EU-Land legt sich darauf fest, wie viele Flüchtlinge es pro Jahr aufnehmen will. Die Asylwerber treffen ihre Wahl zunächst selbst. Wenn allerdings das deutsche Kontingent erschöpft wäre, müssten sie ein anderes Land ankreuzen. Die wegen ihres niedrigen Durchschnittseinkommens wenig attraktiven Staaten kämen erst am Ende oder gar nicht in die Ziehung. Voraussetzung dafür wäre jedoch wie bei allen Lösungsansätzen, dass die EU an ihrer Außengrenze die Kontrolle über den Flüchtlingszuzug gewänne.

Es wird Zeit, dass Österreich versucht, den mittelosteuropäischen Nachbarn zuzuhören und ihnen entgegenzukommen. Sonst bleiben die „Brücken“ nur Metaphern, die ins Nirgendwo führen.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2016)

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