Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, bitte an die Geschichte denken

Austria's Chancellor Faymann listens during a news conference in Vienna
Austria's Chancellor Faymann listens during a news conference in ViennaREUTERS
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Ein kleiner Blick zurück: Werner Faymann überredete Alfred Gusenbauer zum Abgang. Diesem geht es seither besser. Warum nicht dem Beispiel folgen?

Es ist völlig klar, ein Rücktritt ist immer schwierig. Der Abschied vom geliebten Umfeld, von den Mitstreitern, den schönen Zeremonien, dem eleganten Büro, der Macht fällt schwer. Einladungen, Ehrerbietungen, Begrüßungen, Höflichkeiten, fast alles verschwindet mit dem Titel. Vor allem in Wien. Zumal im Bunker die Stimmung nicht so schlecht wie draußen ist: In St. Pölten wurde gerade eine Wahl gewonnen, die Präsidentschaftswahl haben in Wahrheit die innerparteilichen Widersacher in Wien verloren, sagen die Berater. Josef Ostermayer ist immer fröhlich und verspricht, dass alles besser wird. Die Pressesprecher berichten von großen Erfolgen mit ihren Gesprächspartnern in den Wiener Boulevardzeitungen. Kurz: Es ist alles nicht so schlimm. Ein paar Jahre geht das schon noch.

Doch das ist leider ein gewaltiger Trugschluss, verehrter Herr Bundeskanzler. Wahr ist vielmehr: Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Sie Platz für einen anderen Bundeskanzler und/oder Parteichef machen müssen. Ersterer könnte Heinz-Christian Strache heißen, wenn die rote Niederlagenserie so weitergeht – nein, ich weiß, es schmerzt, aber St. Pölten war weder Trendumkehr noch bedeutende Wahl.

Oder aber die Parteifreunde hieven ganz schnell einen anderen auf den Schild. Theoretisch wäre es auch noch möglich, dass sich alles ein paar Monate hinzieht. Manche Parteifreunde wollen das einigermaßen geordnet auf dem Parteitag im Herbst über die Bühne bringen, zuvor noch abwarten, ob der interne Richtungsstreit beim Thema Zuwanderung/Flüchtlinge zu lösen sein wird (wohl kaum) und ob nicht vielleicht Norbert Hofer als hyperaktiver Bundespräsident den absurden Job übernimmt, die gewählte Regierung entlässt und Neuwahlen ansetzt (wohl kaum): Aber selbst dann müsste ein anderer an der SPÖ-Spitze her.


So ein Sturz auf offener Bühne ist in der Regel nicht nur schmachvoll, sondern bei der weiteren Karriereplanung äußerst hinderlich. Eine Fußballmannschaft an Ex-ÖVP-Chefs kann das bestätigen. Besinnen Sie sich doch Ihrer (Partei-)Geschichte: Es war ein gewisser Werner Faymann, der als Parteichef Kanzler Alfred Gusenbauer zur Seite gestellt wurde, der so Zentimeter für Zentimeter Macht verlor. Am Schluss musste er gehen. Davor wurde der überzeugte Europäer gezwungen, einen Brief an den „Krone“-Herausgeber zu schreiben, in dem er dessen Forderung nachkommen und für den Fall einer EU-Vertragsveränderung eine Volksabstimmung versprechen musste. Würden Sie als glühender Europäer so zu Kreuze kriechen wollen? Oh, das verlangten Sie von Gusenbauer.

Also besser proaktiv die Nachfolge angehen! Noch ein Wort zu Gusenbauer: An diesem großen Vorbild erleben Sie, wie glücklich und einträglich ein Leben nach der Politik sein kann. Das haben Sie sich auch verdient.

Eine schöne Hilfe ist die Vergesslichkeit von uns Medien, die wir immer öfter auf das Archiv verzichten. Jemand, der zum richtigen Zeitpunkt beziehungsweise in Ihrem Fall endlich geht, wird von der Nachwelt und in den Geschichtsbüchern meist viel positiver bewertet als in der aktiven Zeit. Fred Sinowatz etwa ist längst von allen Fehlern freigesprochen. Bei Viktor Klima erinnern wir uns an Hund, Frau und schöne Gummistiefel, bei Willi Molterer an Kunstsinn und hohe politische Handwerkskunst, zu Josef Pröll fällt uns Lebensfreude und Widerstandsgeist gegen einen Anverwandten ein, zu Michael Spindelegger das rührige Bemühen – und für Sie werden wir auch noch etwas finden.

Wir könnten etwa Ihren Sinn für Menschlichkeit feiern, dank dem Sie die Österreicher nie überfordert haben. Sie wussten: In einer globalen Krise soll man Menschen vor lauten Reformen, Veränderungen und Entscheidungen schützen. Man muss sie in Ruhe lassen. Sie wollten die Politik lächelnd wippend fröhlicher machen – zumindest versucht haben Sie es. Sie haben der ÖVP immer gezeigt, wie problematisch deren Personalpolitik war. Sie haben uns deutlich die Sinnlosigkeit einer Großen Koalition vor Augen geführt.

Danke dafür, gönnen Sie sich und uns einen würdevollen Abschied.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2016)

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