Wenn das Recht vom Hofer ausgeht

Presidential candidate Hofer presents his new electoral posters during a news conference in Vienna
Presidential candidate Hofer presents his new electoral posters during a news conference in ViennaREUTERS
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Eine Fahrlässigkeit ganzer Generationen: Die Verfassung bietet Präsidenten wesentlich mehr Macht, als sie bisher ausübten. Wieso wurde das nie geändert?

Es bietet unseren Kindern einen Hauch jener alten, längst untergegangenen politischen Welt, wie es sie nur noch in Havanna, Moskau, Pjöngjang und St. Pölten zu bewundern gibt. In jedem Klassenzimmer hängt ein Bild des österreichischen Bundespräsidenten. Also ein Foto jenes Mannes, der in Österreichs Politik bisher die Rolle eines Moderators, Mahners und Notars ausgeübt hat. Nur ein Einziger wollte mehr, es blieb beim Versuch Thomas Klestils. Stimmt, der Präsident ist vom Volk gewählt, aber das ist jeder Gemeinderat auch. Und brauchen Kinder tatsächlich eine staatliche Autorität mit Photoshop-Potenzial nach oben? Reicht nicht die Lehrerin oder der Lehrer?

Daher ist Norbert Hofer zu danken, der diese Lappalie entdeckt hat, und dieses Überbleibsel aus der Ära von bedingungsloser Staatsgläubigkeit mit dem typisch österreichischen Schuss Monarchienostalgie beseitigen will. Aber es wäre nicht der FPÖ-Kandidat, würde er den Kindern nicht eine andere Botschaft mitgeben wollen. Wie auf seinen Wahlplakaten den leicht abgeänderten Satz aus der österreichischen Bundesverfassung: „Das Recht geht vom Volk aus.“ Was dieser inhaltlich wichtige wie richtige Satz als Bauernkalender-Merkspruch in der Klasse zu suchen hat, ist nicht ganz klar: Sind die Schüler das Volk? Die Macht liegt also nicht beim Lehrer und der Schule? Systemkritik ab der Volksschule als FPÖ-Plan? Jetzt stellen wir uns kurz Hofer und den Werbetexter der FPÖ, Herbert Kickl, in ihrer Jugend vor. Haben sie zu Pink Floyd mitgesungen und gestampft: „We don't need no education. We don't need no thought control. [...] Hey, teacher, leave us kids alone!“?

Nein.

Rein handwerklich ist die Wahl des Satzes schlau, suggeriert er doch, Hofer sei der Kandidat des Volkes gegen das System. Dass er ein wenig den „Wir sind das Volk“-Rufen der Pegida-Anhänger ähnelt, die ihn von jenen mutigen deutschen Demonstranten gestohlen haben, die ihn 1989 dem DDR-Regime entgegengerufen haben, gefällt vielleicht dem einen oder anderen Anhänger. Ja, Hofer hat seine Verfassung gelesen und liefert uns völlig neue Interpretationen und ein völlig anderes Amtsverständnis: Er will in Zukunft beurteilen, ob eine Regierung gut ist oder nicht. Im zweiten Fall löst er sie oder gleich den ganzen Nationalrat auf, erzwingt Neuwahlen, und Ministerkandidaten nimmt er ohnehin die Prüfung ab. Gesetze schmeißt er bei Bedarf auch zurück, bis sie ihm gefallen, und er engt den Spielraum der Regierung ein. Die Verfassungsrechtler freuen sich auf viel Arbeit und ausgedehnte TV-Auftritte, die meisten stimmen aber der Hofer-Theorie zu, dass da viel mehr geht mit Macht und Einfluss in der Hofburg. Wir werden uns wundern, sagt der Rechtspopulist mit den guten Manieren ehrlicherweise. Ihn zu wählen, kann also die von vielen erhoffte Sprengung des politischen Systems bedeuten. Oder eben die andauernde, hysterisch kommentierte Staatskrise. Manche glauben verharmlosend, Hofer würde wie im Amt des Dritten Nationalratspräsidenten nur glücklich repräsentieren und die Tapetentür nicht öffnen, wenn der eifersüchtige Heinz-Christian Strache draußen trommelt.

Erstaunlich an diesen Gummi-Formulierungen im Verfassungsrang ist die Nonchalance, besser: die Fahrlässigkeit, der österreichischen Eliten in der Vergangenheit. Warum ist niemand auf die Idee gekommen, die entsprechenden Verfassungsbestimmungen zu präzisieren und genau das zu verhindern, was nun möglicherweise passiert: dass Österreich ohne große Debatte vom Präsidenten in Richtung Präsidialrepublik umgebaut wird? Und nein, eine Präsidentschaftswahl ist keine Volksbefragung. Und wenn wir schon bei absurden Veränderungen unseres Systems sind: Bis heute versteht kein vernünftig denkender Mensch, warum die Legislaturperiode von vier auf fünf Jahre verlängert wurde. Dies hat die Frustration über die Große Koalition logischerweise massiv verstärkt.

Und Hofer hat den stärksten aller Wahlhelfer: Solange Werner Faymann ernsthaft glaubt, er kann weitermachen wie bisher, verstärkt das den Zorn der Wähler. Faymann rennt für Norbert Hofer.

In Kürze kommt dann Alexander Van der Bellen an dieser Stelle vor.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

Wir danken den Usern, dass sie uns auf einen Fehler aufmerksam gemacht haben. Wie nun richtiggestellt, heißt es in der Bundesverfassung "Das Recht geht vom Volk aus" - nicht die "Macht".

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2016)

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