Christian Kern als Michael Häupl? Die Verlockung einer Wien-Wahl II

ARCHIVBILD: PK OeBB: CHRISTIAN KERN
ARCHIVBILD: PK OeBB: CHRISTIAN KERNAPA/HANS KLAUS TECHT
  • Drucken

Die SPÖ könnte sich an Werner Faymanns Erbe in der Flüchtlingspolitik nicht mehr gebunden fühlen. Es wäre eine verantwortungslose Kursänderung.

Neuwahl im Herbst. Der Wiener Wahlkampf von 2015 in der Neuauflage: Christian Kern, das „Humanität und Ordnung“-Mantra auf dem Banner. Die ob des erneuten Schwenks begeisterten Linken bis Linksliberalen an seiner Seite. Die pragmatischen Rechten mit der Aussicht auf einen Wahlerfolg ruhiggestellt.

Auf der anderen Seite Reinhold Mitterlehner – oder Sebastian Kurz – als Verfechter des bisherigen Kurses in der Flüchtlingspolitik. Und dahinter auch noch Heinz-Christian Strache, der das irgendwie zu toppen versuchen würde.

Unrealistisch? Nicht ganz. Erste Anzeichen deuten durchaus darauf hin. Am Dienstag hätte im Ministerrat die Notverordnung zum Asylgesetz akkordiert werden sollen: Mithilfe dieser soll im Fall einer Überforderung mit einem neuerlichen Flüchtlingsandrang ebendieser eingeschränkt werden können. Doch die SPÖ in Person von Klubobmann Andreas Schieder legte sich quer. Werner Faymann, der nach längerem Hin und Her für diesen restriktiveren Kurs der Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik mit aller ihm noch verbliebenen Macht eingestanden war – und dies letztlich auch persönlich büßte –, war ja weg.

Nun wittern etliche in der SPÖ die Chance, den Kurs wieder zu ändern. Aus ideologischen wie auch aus taktischen Gründen. Es könnte also sein, dass es nicht die ÖVP ist, die nun Neuwahlen sucht, sondern die SPÖ. Die Gunst der Stunde, die Euphorie um den Neuen an der Parteispitze, nützend. Wie schnell eine solche verfliegen kann, konnten die Sozialdemokraten in den vergangenen Monaten gut am Beispiel Reinhold Mitterlehners beobachten.

Und dieser Neue wird mit ziemlicher Sicherheit Christian Kern sein, der bisherige ÖBB-Chef und vormalige Verbund-Vorstand. Ein Manager für die Arbeiterpartei. Wobei: Arbeiterpartei ist die SPÖ heute ja eigentlich keine mehr.

Das ist heute die FPÖ – als solche ausgewiesen bei allen größeren Wahlen der jüngeren Vergangenheit. Und das Verhältnis der SPÖ zur FPÖ ist weiterhin ungeklärt. Werner Faymanns Rücktritt am Montag hat diese Frage wieder in den Hintergrund rücken lassen. Der nächste SPÖ-Chef jedoch wird nicht umhinkommen, diese zu beantworten.

Ob er sich noch an den von Josef Ostermayer ausgeheckten Kompromiss halten wird, weiß man nicht. Dieser hat vorgesehen, dass es in den Gemeinden und Ländern den jeweiligen Genossen überlassen bleibt, ob sie eine Koalition mit den Freiheitlichen eingehen wollen. Auf Bundesebene werde es das nicht geben, weil der Bundesparteivorsitzende das nicht wolle. Dies war allerdings noch auf Werner Faymann zugeschnitten. Und den gibt es ja bekanntlich nicht mehr.

Sollte der Nachfolger wirklich der Verlockung eines Wien-WahlkampfsII erliegen, wird er diese Frage wohl bis nach der Wahl vertagen – oder vordergründig einmal mit Nein beantworten, denn sonst wären die Linken bis Linksliberalen ja wieder weg. Auch die Gewerkschaft, die mehrheitlich für die rot-blaue Option ist, würde fürs Erste stillhalten.

Aber auf Dauer kommt er nicht darum herum. Denn eine weitere Neuauflage der Großen Koalition wird sich, sofern überhaupt rechnerisch möglich, rein atmosphärisch nicht mehr ausgehen. Die FPÖ wird mit großer Wahrscheinlichkeit in der nächsten Regierung sitzen. Es fragt sich nur, mit wem.

Aus gesamtstaatlicher Sicht gebe es allerdings bessere Gründe für Neuwahlen als die Flüchtlingspolitik. Jetzt hat man mühevoll, über Monate hinweg, diese Linie festgezurrt, mit Obergrenzen und Kontrollen, das Ganze juristisch gerade noch auf halbwegs akzeptable Beine gestellt und auch anderen europäischen Staaten damit Luft verschafft – und nun soll man das wieder aufschnüren?

Aus strategischen Gründen für mögliche Neuwahlen? Oder damit jene in der Partei, die es schon immer besser gewusst haben, sich nun im Recht wähnen können und ihre kleine Rache an der bisherigen Parteiführung bekommen?

Nein, das wäre ein unverantwortliches Spiel aus Eigennutz.

E-Mails an:oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.