Washington und Moskau müssen in Syrien an einem Strang ziehen

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Vor 100 Jahren setzten Paris und London egoistische Interessen in Nahost um. Heute bedarf es mehr Verantwortungsbewusstsein der internationalen Player.

Es wirkt wie ein Hoffnungsschimmer. All die Großmächte, Regionalmächte und Möchtegernmächte, die beim Blutbad in Syrien ihre Finger im Spiel haben, sind derzeit bei einer Konferenz in Wien versammelt, um darüber zu debattieren, wie man doch noch zu einem Ende der Gewalt gelangen könnte. Eigentlich sollte in Syrien Waffenruhe herrschen. Doch die Realität sieht anders aus – vor allem rund um die Großstadt Aleppo. Nach wie vor fallen Bomben des Regimes auf die einst pulsierende Zwei-Millionen-Einwohner-Metropole, die ohnehin bereits in weiten Teilen einer Trümmerwüste gleicht. Und Angehörige verschiedenster Milizen beschießen Viertel, die loyal zu verfeindeten Rebellengruppen oder dem Regime stehen.

Die Sache mit der Beendigung der Feindseligkeiten hat so ihre Tücken: Dass die Jihadistenorganisationen Islamischer Staat (IS) und die mit al-Qaida verbündete al-Nusra-Front von der Waffenruhe ausgenommen sind – darin waren sich alle Parteien von vornherein einig. Doch Syriens Regime und seine russischen Verbündeten wollen weiterhin auch andere Extremisten bekämpfen. Welche syrischen Rebellengruppen Extremisten sind, haben Damaskus und Moskau schon bisher im eigenen Interesse sehr großzügig ausgelegt. Syriens Machthaber, Bashar al-Assad, verfolgte von Beginn an jegliche bewaffnete Opposition als Terrorismus.

Zugleich stehen die USA und Europa vor der schwierigen Aufgabe herauszufiltern, wer tatsächlich zum sogenannten moderaten Widerstand zählt. Auch unter vom Westen anerkannten Rebelleneinheiten befinden sich Brigaden, die Allianzen zur al-Nusra-Front unterhalten und von einem salafistisch geprägten Syrien träumen. Ihre Macht in den Reihen der Aufständischen ist in den vergangenen Jahren sukzessive gewachsen. Damit Frieden in Syrien einkehrt, wird man auch einige dieser bedenklichen Einheiten in eine Lösung einbinden müssen. Tut man das nicht, läuft man Gefahr, dass sie sich irgendwann ganz mit al-Nusra oder gar dem IS verbünden. Das Ergebnis wäre ein gewaltiger jihadistischer Block in Syrien, der weit größer wäre, als es heute der IS ist.

Das Engagement externer Mächte macht die Lage auf den syrischen Schlachtfeldern noch verworrener: Saudiarabien und andere Golfmonarchien unterstützen islamistische Rebelleneinheiten. Sie wollen das Ende des syrischen Regimes, um so Punkte in ihrem Machtkampf gegen ihren Erzrivalen, den Assad-Verbündeten Iran, zu sammeln. Teheran wiederum wirft in Syrien Eliteeinheiten in die Schlacht, um genau das zu verhindern.

Die türkische Regierung will ebenfalls Assads Sturz. Sie versuchte in der Vergangenheit, über jihadistische Gruppen Druck auf Syriens Kurden auszuüben, um das kurdische Autonomieprojekt auf der anderen Seite der Grenze zu zerschlagen. Russland greift seinem Verbündeten Assad militärisch unter die Arme. Zugleich bietet es den Volksverteidigungseinheiten der syrischen Kurden immer offener Hilfe an – um der Türkei eins auszuwischen. Und eben diese Volksverteidigungseinheiten erhalten US-Luftunterstützung im Kampf gegen den IS.


Um dieses komplizierte Geflecht an Bündnissen und Machtinteressen zu entwirren, müssen alle Beteiligten an einen Verhandlungstisch – vor allem Saudiarabien und der Iran, die zuletzt ihren Stellvertreterkrieg ohne jede Rücksicht auf syrische Verluste ausfochten. Aber auch die USA und Russland müssen stärker als bisher an einem Strang ziehen. Letzten Endes braucht es eine Kooperation Washingtons und Moskaus, um die Lage in Syrien zu entschärfen. Konflikte zwischen beiden in anderen Weltgegenden wie der Ukraine sollten nicht in Nahost fortgeführt werden.

Vor genau 100 Jahren haben sich die damaligen Großmächte Frankreich und Großbritannien hinter verschlossenen Türen getroffen, um im Sykes-Picot-Abkommen eine Aufteilung des Nahen Ostens zu beschließen. Dieses Mal sollten USA, Russland und EU-Staaten ihr Gewicht in die Waagschale werfen, um unter Einbindung der Betroffenen Lösungen für die Region zu finden. Die Gespräche in Wien könnten ein erster kleiner Schritt dazu sein.

E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2016)

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