Den Schweigekanzler zu geben ist keine schlechte Idee

New Austrian Chancellor Christian Kern Addresses Parliament
New Austrian Chancellor Christian Kern Addresses Parliament(c) Bloomberg (Lisi Niesner)
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Christian Kern fand in seinen ersten Reden kluge Worte und eine wichtige Einsicht. Die Überraschung darüber sagt viel über das bisherige Personal aus.

Es war eine Symbiose, die sich irgendwo zwischen Kabarett, Korruption und Staatsbankrott abspielte: Werner Faymann stimmte seine Linie, seine Politik, seine Aussagen mit einzelnen Redakteuren und Chefredakteuren der Boulevardmedien Wiens ab. Daneben gab es ein passend lukratives Anzeigengeschäft zwischen diesen und befreundeten Ressorts, Staatsunternehmen und Ländern. Damit muss Schluss sein. Für die Hygiene in Österreichs Politik und Medien.

Christian Kern weiß das. Auch wenn ihn diese Medien mit billiger PR locken (und im Hintergrund vermutlich recht unverhohlen drohen). Wie überhaupt die Medien gerade wieder einmal dabei sind, das rechte Augenmaß zu verlieren: Die Huldigungen und Annäherungsversuche an Christian Kern sind diesem hoffentlich so peinlich, wie es den Anschein hat.

Der neue Bundeskanzler, der unaufgeregt und betont kühl seine ersten beiden großen Reden gehalten hatte, formulierte da am Donnerstag im Nationalrat eine wichtige Selbsterkenntnis: Das Verhältnis zwischen Politik und Medien sei von einer sonderbaren und nicht gerade konstruktiven Kurzatmigkeit geprägt, die die wichtigste Tätigkeit in der Politik (und den Medien) de facto verhindert: das Nachdenken. Das aber wolle er unbedingt, so der neue Kanzler. Dafür erhielt er spontanen Applaus im Nationalrat – was nicht zwingend heißt, dass alle dort Spezialisten in dieser Disziplin wären.

Wolfgang Schüssel wurde einst Schweigekanzler genannt, da er tägliche Interviews verweigerte und keine hysterischen Entscheidungen nach Umfragen fällte. (Sondern sogar mitunter werktags zum Skifahren ging.) Das machte ihm noch weniger Freunde, war aber durchaus sinnvoll, da effizient. Im Fall Kern wäre dies für uns Medien vorerst schwierig, und er darf ein solches Vorbild niemals nennen – in einer Partei, deren wirksamster Kitt der schwarz-blaue Gruselfilm ist. Kern zitierte bzw. dementierte noch einen anderen: Der weise Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, Helmut Schmidt, antwortete einst auf einen in seinen Ohren „dusselige“ (Schmidt) Journalistenfrage: „Wer eine Vision hat, der soll zum Arzt gehen.“ Kern drehte das nun um: Wer keine Visionen hat, der soll zum Arzt gehen. Das aus seinen Reden resultierende Dilemma hat er auch gleich angesprochen: Die Erwartungshaltung ist enorm, dieser kann er kaum gerecht werden.

Es sind analytisch kritische Sätze Kerns, die dem politisch frustrierten Publikum gefallen: „Bei der Kombination aus pragmatischen Lösungsversuchen und dem Rhetorikgewitter, das oftmals einprasselt, ist eines verloren gegangen: wie unsere Zukunftsbilder aussehen. Es ist nicht mehr klar, wohin wir unser Land führen wollen. In dieses geistige Vakuum kriechen Vorurteile und billige Pointen.“

Wie schon bei dem bemerkenswert starken, weil rhetorisch guten und klaren Auftritt von Kerns Doch-nicht-Konkurrenten Gerhard Zeiler vor Kurzem in der „Zeit im Bild 2“ gibt es da ein österreichisches Phänomen: Kaum spricht jemand ein paar inhaltlich logische, verständliche Sätze ohne Phrasen, Stottern und Unterbrechungen, liegt ihm oder ihr das Land zu Füßen. Um es ganz einfach zu schreiben: Nur wenige erreichen das deutsche Rhetorikniveau eines durchschnittlichen Ministers. Kern wird ähnlich wie Schüssel, der ihm als Vergleich peinliche Karl-Heinz Grasser und – schon wieder angenehmer – Sebastian Kurz auf der TV-Bühne in Deutschland gute Figur machen. Alleweil.


Die Überraschung über Politiker, die weder sinnentleerte Phrasen dreschen noch im Bierzeltmodus brüllen, sagt auch viel über die Qualität unseres bisherigen (und noch zu bestimmenden) politischen Personals aus: Wie zum Beweis der Qualitäten des Neuen lud der ORF am Mittwochabend die Klubobleute zum „Runden Tisch“, die sich an den beiden Präsidentschaftskandidaten in der ATV-Debatte orientierten: gehässig, arrogant bis einfältig argumentierend – sehr im alten Stil. Wenn Kern einen Wechsel der politischen Kultur in dem Land will, müssen er und der ÖVP-Chef noch viel ändern. Warum nicht mit der Position des ÖVP-Klubobmanns beginnen?

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2016)

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