Kein Grund zum Jubeln, Herr Präsident

Kein Grund zum Jubeln, Herr Präsident
Kein Grund zum Jubeln, Herr Präsident(c) REUTERS (LEONHARD FOEGER)
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Das war weder ein Wahlerfolg der Grünen noch das Ende der blauen Siegesserie. Wer diese Tatsachen verdrängt, begeht einen schweren Fehler.

Alexander Van der Bellen wandelte also erfolgreich auf den Spuren Michael Häupls. Mit minimalem Vorsprung sammelte er überraschend die Stimmen all jener ein, die Norbert Hofer und damit Heinz-Christian Strache um jeden Preis in der Hofburg verhindern wollten. Dies zum alleinigen Wahlerfolg der kleinen Oppositionspartei umzumünzen wäre eine Verhöhnung vieler Wähler und die erste Hürde auf dem Weg zu einem wirklich parteiübergreifenden Präsidenten. Nun haben die Grünen ihre immerwährende Personalreserve aufgebraucht: Van der Bellen kann im Grün-Notfall nicht mehr schnell überall kandidieren wie einst in Wien. Apropos: Dass der gelassene und differenziert argumentierende Van der Bellen in Wien eine derart breite Mehrheit erzielt hat, könnte Vorbild für andere, vor allem seine eigene Partei sein: In einer offenen Stadt gewinnt man nicht mit Selbstgefälligkeit und erhobenem Zeigefinger.

Ein Hinweis für die Kollegen internationaler Medien, die Österreich so gern als Hort der Rechtsextremen zeichnen, sei an dieser Stelle erlaubt: Österreich hat als erstes Land der Welt einen Grünen als Staatsoberhaupt. Und zwar direkt gewählt. Ein Land, in dem bisher keine Asylheime gebrannt haben, in dem Pegida lächerlich gescheitert ist, sich vergangenes Jahr rund 90.000 Menschen und in diesem schon mehr als 19.000 um Asyl beworben haben. Schaffen es die Story und der Name Van der Bellen nun in die Medien wie zuvor Norbert Hofer – oder ist nur ein rechter Österreicher ein echter Österreicher?

Nichtdestoweniger bedeutet der Wahlausgang mit Platz zwei einen enormen Erfolg für Norbert Hofer und die FPÖ. Während Van der Bellen von einer Koalition von Prominenten und Vertretern mehrerer Parteien unterstützt wurde, stehen hinter Hofer nur die Freiheitlichen. Noch nie hat ein Kandidat der Oppositionspartei so viele Stimmen auf sich vereinigen können. Mit Sonntag ist Hofer eine Alternative zu Heinz-Christian Strache als Kanzlerkandidat. Wer schon einmal Hofer gewählt hat, könnte das auch bei einer Nationalratswahl leichter wieder tun.

Van der Bellen muss nun alles daransetzen, aus der polarisierenden Debatte die hysterische Note herauszunehmen: also indem er und seine Anhänger das Ergebnis nicht als Abstimmung über Wirtschafts- und Sozialpolitik grüner Prägung interpretieren. Oder über offene Flüchtlingspolitik. Sonst hätte er nicht die Mehrheit. Das fällt auch nicht in die Kompetenzen des Bundespräsidenten, aber ein paar eindringliche Informationsgespräche mit den Fachministern wären wichtiger, als wie angekündigt von der VIP-Tribüne bei den Spielen der Fußball-Europameisterschaft zu klatschen. Außenpolitisch wird sich Van der Bellen, der im Wahlkampf zwar versierter als Hofer, aber auch nicht sehr firm war, schnell einlesen müssen. Neue Akzente fern der Trittbrettfahrer-Neutralität wären interessant.

Auch echte Überparteilichkeit wäre würdig, selbst wenn Van der Bellens Herz vielleicht näher bei Christian Kerns denn bei Sebastian Kurz' schlägt: Van der Bellen sollte der ÖVP und der FPÖ nicht den Gefallen tun, von der Hofburg aus die rot-grüne Achse zu spannen. Vor allem aber wären ein paar zähe inhaltliche Einsätze in den kommenden Monaten richtig, die dem Wirtschaftswissenschaftler sicher vertraut sind: Im Ringen um einen neuen Finanzausgleich und um die strukturelle Neuaufstellung dieses Landes könnte Van der Bellen nicht nur bei Kanzler und Ministern sondieren, sondern seine absolute Stimmenmehrheit in Gesprächen mit den Landeshauptleuten einsetzen. Ihnen ist Van der Bellen im Gegensatz zu SPÖ- und ÖVP-Politikern nichts schuldig.

Den wichtigsten Arbeitsauftrag kennen wir aus dem Wahlkampf: Wir sollten rasch eine Debatte über eine Neuregelung der Kompetenzen des Bundespräsidenten führen, die idealerweise in eine (Volks-)Abstimmung führt. Es wäre schön, wenn wir vor der nächsten Wahl die wahren Spielregeln für den Präsidenten kennten und dessen Macht nicht über die Wahl der jeweiligen Kandidaten und dessen Ankündigungen bestimmen müssten.

Ach ja. Gratulation, Herr Bundespräsident!

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

(Print-Ausgabe, 24.05.2016)

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