Verfassungsreform: Ja, aber nicht nur beim Bundespräsidenten

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Kriterien für die Entlassung der Regierung zu definieren ist viel einfacher, als die tiefer liegenden Probleme zu lösen, die das Regieren dauerhaft erschweren.

Noch bevor Alexander Van der Bellen sein Amt als neuer Bundespräsident antritt, hat er sich für eine Reform dieses Amtes ausgesprochen: Dass der Präsident ohne jede Begründung und Kontrolle die Regierung entlassen kann, erscheint ihm suspekt. Und nicht nur ihm: Neben Experten, die diese Befugnis schon länger als ein historisches autoritäres Relikt sehen, hat sich am Wochenende auch der sozialdemokratische neue Kanzleramtsminister, Thomas Drozda, im ORF-Radio kritisch über die theoretische Macht des Bundespräsidenten geäußert. Der für Verfassungsfragen zuständige neue Minister kann sich wie auch ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka vorstellen, dass eine parlamentarische Enquete-Kommission untersucht, ob die Kompetenzen des Präsidenten noch zeitgemäß sind.

Wenn das eine Lehre – im besten Fall mit konkreten Folgen – aus dieser Bundespräsidentenwahl ist, dann ist das gut und schön. Verhängnisvoll wäre nur, wenn eine daraus resultierende Verfassungsreform sich auf die für akute Krisensituationen gedachten Möglichkeiten des Präsidenten beschränkte. Denn es gibt andere Probleme der staatlichen Ordnung, die mehr oder weniger dauerhaft das Regieren zur Krise machen.


Eines davon ist die heillose Zersplitterung von Kompetenzen auf allen Ebenen, die der vom Bahnmanager zum Regierungschef mutierte Christian Kern erfrischend offen mit einem hübschen Beispiel angesprochen hat: Schloss Schönbrunn. Für den Touristenmagneten Nummer eins in Wien Hietzing sind vier verschiedene Ministerien verantwortlich, eines für die Betriebsgesellschaft, ein zweites für das Gebäude, eines für die Gärten, das vierte, nämlich sein Kanzleramt, für die Kutschensammlung. „Wie läppisch geht's denn noch?“, fragte Kern. Offenbar ist er sogar von der Bundesbahn anderes gewohnt.

Man könnte über das Beispiel achselzuckend hinwegsehen, wenn es sich nicht auf ungezählten anderen Gebieten wiederholte, von denen viele für Österreichs Zukunft wesentlich wichtiger sind als Kaisers ehemalige Sommerresidenz. Beispiel Bildung, eines der Zukunftsthemen schlechthin: Dass die von der rot-schwarzen Koalition geplante Reform schon beim ersten von acht Punkten ins Stocken geraten ist, rührt abgesehen von den ideologischen Grabenkämpfen um die Gesamtschule vor allem daher, dass Bund und Bundesländer dafür zuständig sind, aber sich nicht einigen können.


Die Länder und ihre Hauptleute haben in der politischen Realität ein Gewicht, das ihnen nach dem moderat bundesstaatlichen Konzept der Bundesverfassung eigentlich gar nicht zukäme. Der Landeshauptmann Niederösterreichs, Erwin Pröll, zeigte im Präsidentschaftswahlkampf nur zu deutlich, wie er die ÖVP beherrscht: zuerst, indem er seinen Parteichef, Reinhold Mitterlehner, extrem spät informierte, nicht als Kandidat zur Verfügung zu stehen, dann, indem er auch noch mittendrin eine Regierungsumbildung erzwang.

Das wiederum könnte man als ein Problem der Volkspartei abtun, wenn es nicht a) ein rotes Pendant in Gestalt des mächtigen Wien gäbe und b) auf eine für den Staat insgesamt verhängnisvolle Situation verwiese: Die Länder und ihre Exponenten sind in der Realverfassung zu mächtig, als dass der Bund seiner Gestaltungsaufgaben nachkommen könnte. Mehr noch: Sie können, wie das Beispiel Kärnten gezeigt hat, dem ganzen Staat Schulden in Milliardenhöhe umhängen, die sie eingegangen sind. Die Länder geben das Geld aus, das der Bund einnehmen muss.

Einnahmen- und Ausgabenverantwortung zusammenzuführen wäre also auch eines der vielen Themen, derer sich eine echte Verfassungsreform annehmen müsste. Vorarbeiten dafür gibt es dafür schon genug; es gilt nur, diese zu sichten. Und Regeln zu formen, nach denen dieser Staat auch und gerade unter dem zu erwartenden freieren Spiel der demokratisch gewählten Kräfte geführt werden kann. Im Vergleich zu der Aufgabe, Kriterien zu definieren, unter denen der Bundespräsident die Regierung unter verfassungsgerichtlicher Kontrolle entlassen kann, bestimmt nicht einfach.

E-Mails an:benedikt.kommenda@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2016)

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