Ein Kanzler, zwei Botschaften: Der Linksruck des Christian Kern

Bundeskanzler Christian Kern.
Bundeskanzler Christian Kern.(c) APA/HANS KLAUS TECHT
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Auf der anderen Seite rückt die ÖVP nach rechts. Das macht das Regieren nicht einfacher, ist demokratiepolitisch aber vielleicht nicht das Schlechteste.

Zweimal derselbe Kanzler, zwei verschiedene Botschaften. Beim Pioneers Festival der Start-up-Szene am 24. Mai sagte Christian Kern, von den Zuhörern umjubelt wie ein Popstar: In Österreich gebe es zu wenige Unternehmensgründer. Es werde auch zu wenig privates Kapital in junge Unternehmen gesteckt. Die Innovationsdynamik gehöre beschleunigt, der Staat müsse besser mit der Wirtschaft zusammenarbeiten.

Beim Landesparteitag der Kärntner SPÖ am 4. Juni sagte Christian Kern, von den Zuhörern umjubelt wie ein Popstar: Digitalisierung und Automatisierung brächten zwar gewaltige Produktivitätsgewinne, aber es gingen auch viele Arbeitsplätze verloren. Das Thema Arbeitszeitverkürzung werde daher auf die Agenda kommen. Ebenso eine Maschinensteuer oder eine Wertschöpfungsabgabe.

Christian Kern, ein Opportunist, der jedem einfach das gibt, was er hören will? Das wäre in einer Mediengesellschaft eher sinnlos. Wahrscheinlicher ist, dass der Ersteindruck von Kern – der Austro-Renzi, der ohne größere Rücksicht auf die Gewerkschaft Reformen zum Wohle des Wirtschaftsstandorts durchzieht – nicht ganz zutreffend war. Denn Kern ist in erster Linie noch immer Sozialdemokrat. Und da ist die Verteilungsfrage die entscheidendere. Und es ist letztlich die eigene Partei, die einen stürzt. Das galt nicht nur für Werner Faymann, sondern gewissermaßen auch für echte sozialdemokratische Reformer wie Gerhard Schröder.

„Man hatte die Katze im Sack gekauft“, schrieb die „Neue Zürcher Zeitung“ gestern über Kern. Und jetzt stelle sich heraus, dass Kern „tief in die Mottenkiste sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik“ greife.

Nun wird man sich in einer sich verändernden Arbeitswelt mit Robotern, die Menschen ersetzen, zweifellos Gedanken machen müssen, wie diese Gesellschaft zusammenzuhalten ist: ein paar Produktive auf der einen Seite und ein Heer von Arbeitslosen respektive vom Staat Alimentierten auf der anderen – das kann nicht das Ziel sein. Es braucht, da hat Christian Kern recht, die Start-ups einerseits und neue Finanzierungsmodelle für den Sozialstaat andererseits.

Nur: In der derzeitigen Situation würden Maschinensteuern und Wertschöpfungsabgaben große Arbeitgeber, beispielsweise die Voestalpine, noch stärker belasten und ins Ausland vertreiben. Damit wäre keinem gedient.

Christian Kern hat jedenfalls sein Image in den vergangenen Tagen nach links gerückt. Auf der anderen Seite hat Sebastian Kurz die Wahrnehmung der ÖVP nach rechts verschoben: Australisches Modell. Bootsflüchtlinge werden im Mittelmeer abgefangen, sofort zurückgeschickt oder auf einer griechischen Insel interniert. Europa solle sich künftig selbst aussuchen, wer kommen darf.

Das wird die Refugees-welcome-Gemeinde in der SPÖ ebenso wenig freuen wie Unternehmervertreter in der ÖVP die wirtschaftspolitisch linken Kanzlerideen. Das Regieren wird also nicht einfacher werden, wenn die beiden Parteien auseinanderrücken.

Demokratiepolitisch muss das allerdings kein Fehler sein, wenn SPÖ und ÖVP ihre Kanten schärfen, sich darauf besinnen, dass sie nicht schicksalhaft miteinander verbunden, sondern eigenständige Parteien mit unterschiedlichen ideologischen Vorstellungen sind.

Und es kann – wie das Beispiel 1995 zeigt – sogar beiden nützen. Damals war Wolfgang Schüssel mit einem überraschend offensiven Reformkurs in die Nationalratswahl gegangen. Franz Vranitzky war gezwungen, nach links zu rücken. Am Ende gewannen beide Parteien dazu – der Lauf des von Erfolg zu Erfolg eilenden Jörg Haider war (vorerst) gestoppt. Allerdings: Vranitzky hatte mit seinem Retro-Kurs etwas mehr Erfolg als Schüssel mit seiner Mehr-privat-weniger-Staat-Akzentuierung.

Seither hat sich allerdings einiges getan im Bewusstsein der Wähler. Die veränderte Arbeitswelt mit den neuen Selbstständigen, die Schulden- und Pensionsproblematik, die Flüchtlingskrise haben die Menschen realistischer werden lassen. Mit einem unvernünftigen Linkskurs von vorgestern kommt man heute nicht mehr so leicht durch.

E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2016)

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