Wir suchen unseren Meister

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FBL-EURO-2016-FRA-TRAINING(c) APA/AFP/FRANCK FIFE
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Zum Besserwerden oder -sein fehlt nicht so viel. Der im Sport gelebte transparente Leistungsvergleich ist dabei der Schlüssel. Das ist auch vernünftiger, als auf das Wunder zu hoffen.

Was uns am Sport im Allgemeinen und im Fußball im Besonderen so fesselt, ist die Vergleichbarkeit. A spielt gegen B. Die Regeln gleichen den Zehn Geboten, sind ehern und unabänderlich. Alle Zeit der Welt schrumpft auf 90 Minuten. Und dann zeigt sich die Wahrheit – Klischee hin, hohler Spruch her – tatsächlich irgendwie da unten auf dem Platz. Von Milliarden Augenpaaren begleitet wie bei der am Freitagabend begonnenen Fußballeuropameisterschaft in Frankreich.

Dass diese Art von Ländervergleich auch Ersatzhandlung für einen Wettstreit zwischen Nationen ist, der gerade in Europa historisch in den seltensten Fällen friedlich geführt worden ist, mag evident sein. Trotzdem sei an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen, dass es für uns auch keine 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs noch immer nicht selbstverständlich sein darf, dass sich europäische Länder nur mehr auf einem Fußballfeld als Gegner gegenüberstehen. Das Entsetzen nach den Terroranschlägen von Brüssel und eben Paris zeigt aber freilich auch, wie unvorstellbar und verstörend Gewalt und Zerstörung mitten in Europa nach der längsten Friedenszeit auf dem Kontinent geworden sind.

Doch neben dem Kräftemessen erfüllt der Sport auch eine andere große Sehnsucht unserer Zeit, die weniger häufig thematisiert wird: das Bedürfnis nach Transparenz von Leistung. Eine große Schwäche unseres politisch-wirtschaftlichen Systems ist, dass häufig nicht mehr nachvollziehbar ist, warum welche Leistung wie vergütet wird. Wenn aber nicht mehr klar ist, warum man sich überhaupt anstrengen sollte, weil es zu viele gibt, die ohne klaren Leistungsnachweis Schlüsselpositionen besetzen, droht die Gesellschaft ihren eigenen Motor abzuwürgen.

Dieser Vergleichbarkeit haben wir auch die heutige Schwerpunktausgabe anlässlich der Europameisterschaft gewidmet: nicht nur der Frage folgend, wo es noch österreichische Alabas in anderen Bereichen gibt, sondern vor allem auch, welches Land in welchem Bereich bereits Europameister ist. Und was man tun müsste, um diesem Vergleich standzuhalten. Oder eben besser zu werden.

Dabei sind wir auf viel Bekanntes gestoßen (das skandinavische Bildungs- und Familienförderungssystem als Vorbild zum Beispiel, die Schweizer Demokratie oder die irische Geburtenrate). Aber wir haben auch Überraschendes über Österreich gelernt: Dass wir in Biolandwirtschaft führend sind, hätten viele von uns gedacht, aber dass unsere berufsbildenden Schulen die Benchmark für ganz Europa sind? Wohl eher nicht. Reinhold Mitterlehner, Vizekanzler und Wirtschaftsminister, beklagt dieser Tage gern, dass Medien und die beeinflusste Öffentlichkeit nur das Negative und nie das Positive im Land betonen. Auf der anderen Seite belegen zahlreiche Vergleiche der Wirtschaftsstandorte eindeutig, dass Österreich Plätze verliert. Genau dies (und wohl auch eigene Erfahrungen) bringt Warner wie Voest-Chef Wolfgang Eder dazu, einen stetigen Niedergang zu konstatieren.

Sie haben beide recht: Österreich war jahrelang ein Musterschüler und Europameister in vielen Bereichen, ob bei Wirtschaftswachstum oder Arbeitslosigkeit. Sich mit einer durchschnittlichen Position zufriedenzugeben kann aber nicht das Ziel sein. Und Menschen profitieren persönlich einfach nicht davon, dass es hierzulande noch besser als in manchen südlichen Volkswirtschaften ist.

Österreich und seine Bewohner haben die seltene Gabe, in Extremen zu denken und zu fühlen – die Medien spiegeln das nur wider. Gestern waren wir noch ein beklagenswertes fußballerisches Entwicklungsland, heute träumen wir vom Europameistertitel. Gestern beklatschten viele die ankommenden Flüchtlinge, heute hoffen wir auf alte Grenzen. Gestern beklagten wir den schwächsten Kanzler, heute erwarten wir Christian Kerns Spaziergang über das Wasser. Doch weder Marcel Koller noch der Neue im Kanzleramt werden in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten zaubern können. Es geht um mühseliges Training, ewiges Lernen und Testen, viel Arbeit, noch mehr Disziplin und eine gerade Strategie.

Koller hat das meiste schon geleistet, Kern steht erst noch am Anfang.

Beide brauchen vor allem auch noch eines: Glück.

E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2016)

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