Standardsituation

NATIONALRAT: LOPATKA/STOEGER/MITTERLEHNER/KERN
NATIONALRAT: LOPATKA/STOEGER/MITTERLEHNER/KERNAPA/HERBERT PFARRHOFER
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Nicht nur die ÖVP, sondern auch die SPÖ muss sich entscheiden: Was sind ihr die Abwehr der FPÖ und die Aufrechterhaltung des brüchigen Koalitionsfriedens wert?

Die gute Nachricht lautet: Sie können sich derzeit voll auf die Fußball-EM konzentrieren. Die schlechte Nachricht lautet: Sie können sich derzeit voll auf die Fußball-EM konzentrieren, denn innenpolitisch ist wieder alles beim Alten.

Auf Regierungsebene bedeutet das, wie Christian Kern am Samstag im Ö1-„Mittagsjournal“ zugab, dass der „neue Stil“ vorläufig gescheitert ist. Diese Koalition wird von demselben Kitt zusammengehalten wie die alte: von der Angst vor beziehungsweise vom Angstmachen mit der FPÖ. An dieser Stelle schrieb Chefredakteur Rainer Nowak vorige Woche, dass sich die ÖVP entscheiden muss, was sie will. Mit Christian Kern zusammenarbeiten oder ihn bekämpfen? Aber auch die SPÖ muss sich entscheiden. Und zwar: wie viel? Wie viel ist sie langfristig bereit, für die Abwehr der FPÖ und die Aufrechterhaltung der Koalition zu zahlen?

Denn der brüchige Frieden ist für die SPÖ teuer, und je mehr die Kosten steigen, desto schwieriger wird es für Kern werden, gegenüber Teilen der roten Basis den Verzicht auf die strategische blaue Option zu rechtfertigen. In die Höhe getrieben wird der Preis von Reinhold Lopatka: Der ÖVP-Klubchef beherrscht das Taktieren mit der blauen Drohkulisse derart gut, dass es seinem Parteichef offenbar schwerfällt, ihn zu stoppen. Immerhin hat er der ÖVP auf diese Art eine Rechnungshof-Präsidentin und zuvor schon einen steirischen Landeshauptmann beschert. Wer solche lukrativen „quick wins“ vor Augen hat, denkt ungern an mögliche Kollateralschäden (Zündler-Image, schlechtere Chancen für ÖVP-Kandidaten bei der ORF-Wahl etc.)

Wobei man sich zwischendurch schon fragt, auf welches Szenario manche in der ÖVP nach vorgezogenen Neuwahlen, auf die das hinausläuft, hoffen. Der ÖVP winkt auch dann nur der Vizeposten. Heinz-Christian Strache wird den aus seiner Sicht historischen Jörg-Haider-Fehler nicht wiederholen und sich den Kanzlerposten nehmen lassen. Van-der-Bellen-Njet hin oder her.

Derzeit sagt zwar noch keiner „Neuwahl“ – das ist wie bei dem Anstarrenspiel: Wer zuerst blinzelt, hat verloren –, doch die SPÖ sorgt zumindest vor und schärft ihr Profil auf links. Kern ist „selbstverständlich“ für Vermögensteuern. Die Wertschöpfungsabgabe vulgo Maschinensteuer nennt er neuerdings Beschäftigungsbonus. Das sieht auch auf Wahlplakaten besser aus.

Der „Husky“ übernimmt wieder. Aber nicht nur bei Rot-Schwarz, auch bei der Opposition herrscht wieder Alltag. Nach der Bundespräsidentschaftswahl zieht Heinz-Christian Strache die Samthandschuhe aus und legt die Kreide in die Schublade zurück. Vergangene Woche traf er Frauke Petry von der AfD, kommende Woche feiert er mit Marine Le Pen und jenen, die „Die Zeit“ unter dem Label „aggressive, reaktionäre Internationale“ zusammenfasst, in der Pyramide in Vösendorf den „Patriotischen Frühling“. Dem deutschen „Spiegel“ hat Strache vor der Präsidentenwahl übrigens seine Arbeitsteilung mit Norbert Hofer wie folgt beschrieben: Fürs Grobe bürge er selbst mit seinen „Huskyaugen“, den Rest decke Norbert Hofer „mit seinen Rehaugen“ ab. Jetzt führt also wieder der Husky als Leitwolf das Rudel an.

Apropos wie immer: Das gilt auch für die Klientelpolitik. Wie vergangene Woche bekannt wurde, wechseln aus Spargründen bei den Wiener Stadtwerken 800 Beamte mit achtzig Prozent des Letztbezugs in die Pension. Das Antrittsalter beträgt teilweise 55 Jahre, wobei zwanzig Prozent der Betroffenen nicht etwa in Nachtschichten arbeiteten, sondern einen Bürojob hatten. Als Nichtbeamter darf man das frech finden, genauso wie die Aussage, dass derlei den Steuerzahler nicht belaste. Denn Eigentümer der Stadtwerke ist Wien – und damit der Steuerzahler. Dass die Stadtwerke nicht die Ersten sind, die so etwas machen, sondern dass es eher das ist, was man im Fußball eine Standardsituation nennt, macht es nicht besser. Im Gegenteil.

ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2016)

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