Die Zweiklassengesellschaft und ihre Privilegienpensionisten

(c) Clemens Fabry
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Solange Länder die Frühpension zum Verstecken von Arbeitslosigkeit nutzen, gibt es nicht den geringsten Anlass, die ASVG-Reform weiterzuführen.

Finanzminister Hans Jörg Schelling hat neulich Pläne für eine Pensionsreform angedeutet, die weitere Einschnitte in die ASVG-Pensionskonten beinhaltet. Im Prinzip ist das vernünftig, denn demografische Entwicklung und höhere Lebenserwartung nagen an der Stabilität des Systems. Seltsam freilich, dass es mit dem ASVG wieder einmal den mit Abstand am weitesten ausfinanzierten Teil des Pensionsuniversums zuerst trifft.

Anderswo sieht die Lage entschieden entspannter aus: Die Wien Energie etwa entledigt sich gerade 800 ihrer Beamten per Frühpensionierung. Nach Beamtendienstrecht selbstverständlich – und zum Teil im zarten Alter von 55 Jahren. Mit sicherlich recht komfortablen Pensionen, denn Wien gehört ja zu jenen Ländern, die die schwarz-blaue Beamtenpensionsreform nach mehr als einem Jahrzehnt noch immer nicht umgesetzt haben.

Wir wissen schon, da geht es um das Verstecken von Arbeitslosigkeit in einer Stadt, die bei der Arbeitslosenrate ohnehin schon unangefochtener Staatsmeister ist. Und die Gemeinde Wien hat diese Methode des Zahlenschönens auch nicht erfunden. Der Sündenfall ist schon unter Schwarz-Blau passiert, als Tausende ÖBBler, Postler und Telekombeamte in die Frühpension gedrängt wurden. Betriebsbedingte Pensionierung nannte das damals ÖVP-Staatssekretär Helmut Kuckacka in unüberbietbarem Zynismus.

Aber abgesehen davon, dass es viel über die Effizienz in gemeindeeigenen Betrieben aussagt, wenn man fast 20 Prozent der Beschäftigten heimschicken kann, ohne dass man sein Angebot einschränken muss: Was hier schon wieder passiert, ist ein krasser Systembruch. Das Pensionssystem ist nicht dazu da, um sich überzähliger Beamter zu entledigen beziehungsweise krasses Missmanagement (um solches handelt sich bei einem Personalüberhang in dieser Größenordnung wohl) zu planieren. Es hat mit seinem Kerngeschäft, der Altersversorgung, genug zu tun.

Was wir hier sehen, ist der weitere Ausbau einer extremen Zweiklassengesellschaft. Ein geschützter Sektor, in dem gefuhrwerkt werden kann, als wäre das Geld abgeschafft. Und ein – viel größerer – ungeschützter Bereich, der das Ganze im Endeffekt mit unverhältnismäßig großen Einschnitten zu finanzieren hat.

Das ist freilich nichts Neues, dieses Muster zieht sich seit Jahrzehnten durch die Pensionsreformen heimischer Regierungen. Das wird wohl auch damit zu tun haben, dass so gut wie alle, die mit diesen Reformen befasst sind – beamtete Experten aus dem Uni-Bereich, Sozialpartner, Politiker – zum geschützten Sektor zählen und/oder selbst Anspruch auf Privilegienpensionen haben. Da ist man dann eindeutig motivierter, Reformen für den nicht geschützten Rest zu finden, als solche, die einen irgendwann auch selbst treffen könnten.


Jedenfalls: Solange Aktionen wie jene jetzt in Wien möglich und politisch akzeptiert sind, gibt es keinen Grund, bei den ASVG-Pensionen weiter zu drehen. Nicht, dass dort keine Reformen nötig wären. Natürlich muss das System der steigenden Lebenserwartung angepasst werden, natürlich muss die Finanzierungsbasis so aufgestellt werden, dass nicht – wie abzusehen – ein immer größerer Teil der Staatseinnahmen für die Sicherung des Systems eingesetzt werden muss. Aber solange diese Tollheiten im geschützten Bereich nicht gestoppt werden, gibt es nicht den geringsten Grund, im ASVG-Bereich weiter zu kürzen.

Sozialpolitik heißt auch, Prioritäten zu setzen. Oberste Priorität hat jetzt die volle Harmonisierung der Pensionssysteme zu haben. Und zwar schnell und nicht mit jahrzehntelangen Einschleifregelungen. Wenn Länder da wie gewohnt destruktive Opposition betreiben, dann ist der – praktischerweise gerade in Verhandlung stehende – Finanzausgleich als letztes Druckmittel einzusetzen.

Erst wenn es ein Pensionsrecht für alle gibt, können wir über weitere Einschnitte beim derzeit schlechtesten, dem ASVG, wieder reden. Pensionsreform ist wichtig, aber sie kann nicht in einer so aufreizenden Zweiklassengesellschaft münden. Politiker, die das nicht verstehen, passen irgendwie nicht mehr in diese Zeit.

E-Mails an:josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.06.2016)

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