Amerika muss sich dem radikalen Islam auf eigenem Boden stellen

REUTERS
  • Drucken

Die USA sind derzeit auf beiden Augen sehschwach: Das rechte blendet die Gefahren des freien Waffenzugangs aus, das linke den hausgemachten Terror.

Der Attentäter von Orlando war kein Unbekannter für die US-Sicherheitsbehörden. Das FBI verhörte ihn zweimal: 2013 nach einer Sympathieerklärung für militante Gruppen und 2014 wegen seiner Verbindung zu einem US-Selbstmordattentäter in Syrien. Kein Geheimnis war auch sein Hang zur Gewalt; seine Frau hatte sich deshalb scheiden lassen. Dennoch konnte sich Omar Mateen, Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma übrigens, vor ein paar Tagen seelenruhig und ganz legal in einem Waffenladen das Sturmgewehr kaufen, mit dem er mindestens 49 Besucher eines Schwulenklubs ermordete.
Warum jemand mit einer derartigen Vorgeschichte nicht gesperrt wird für den Erwerb tödlicher Kampfgeräte, kann vermutlich nicht einmal die Waffenlobby argumentieren. Irre können in den USA viel zu leicht an Schusswaffen gelangen. Das mag historisch begründet und durch den zweiten Zusatzartikel sogar verfassungsrechtlich legitimiert sein. Angesichts der Serie an Amokläufen und Massenschießereien, von denen die Vereinigten Staaten seit Jahren heimgesucht werden, sollte sich das „Land der Freien“ den verheerenden Anachronismus jedoch nicht länger leisten.

US-Präsident Obama, der seit seinem Amtsantritt auf verlorenem Posten für eine Verschärfung der Waffengesetze kämpft, sprach diesen wunden Punkt gleich nach dem Blutbad von Orlando zu Recht an. Er vermied es jedoch, den Terrorakt in einen islamistischen Zusammenhang zu stellen. Das mag verständlich sein zu einem Zeitpunkt, zu dem die Ermittlungen erst am Anfang stehen. Der republikanische Präsidentschaftsbewerber kennt derlei Hemmungen nicht. „Wird Präsident Obama endlich die Wörter radikaler islamistischer Terror erwähnen? Wenn nicht, sollte er sofort in Schande zurücktreten“, twitterte Donald Trump. Die Zeiten, in denen die USA nach einem Attentat wenigstens ein paar Tage geeint zusammen- und Parteienhader hintangehalten haben, sind vorbei. Das Land ist gespalten. Und im Wahlkampf schreckt Trump vor keiner Gelegenheit zurück, die Polarisierung voranzutreiben.

Das hat er schon nach dem Attentat von San Bernadino vor einem halbem Jahr bewiesen. Damals verlangte er allen Ernstes ein Einreiseverbot für Muslime. Die Empörung war groß, auch in seiner eigenen Partei. Doch seiner Popularität tat die Provokation keinen Abbruch.
Erfolg ist dem Vereinfacher und Hetzer auch deshalb beschieden, weil seine Gegner am anderen Ende des Spektrums eine ausgeprägte Neigung zur politisch korrekten Beschwichtigung aufweisen. Natürlich kann man weiter leugnen, dass die USA trotz all ihrer Integrationsbemühungen ein Problem mit hausgemachtem Terrorismus und radikalen Islamisten haben. Nur blättert der Lack dieser Schönfärberei rasant ab: 2009 tötete der US-Militärpsychiater Nidal Hasan 13 Kameraden in Fort Hood. Unerklärlich zunächst. Später stellte sich heraus, dass der Sohn palästinensischer Einwanderer in Kontakt mit dem jemenitisch-amerikanischen Terrorprediger Anwar al-Awlaki gestanden war. Im Dezember 2015 erschossen Syed Rizwan Farook, Sohn pakistanischer Immigranten, und seine Frau während einer Weihnachtsfeier in San Bernadino 14 Menschen. Beide legten kurz davor einen Treueschwur auf den Islamischen Staat (IS) ab. Der Attentäter von Orlando rief laut FBI noch inmitten seines Blutrausches beim Polizeinotruf an, um sich zum IS zu bekennen.

Eine ideale Marketing- und Konspirationstechnik für die Jihadisten. Der Terrorakt wird auf ihrem Konto verbucht. Doch das Komplott fliegt nicht vorzeitig auf, denn die einsamen Wölfe radikalisieren sich gleichsam selbst per Internet. Große Kommandoaktionen wie in Paris oder gar 9/11 lassen sich so nicht organisieren. Für einen hohen Blutzoll kann aber auch ein Einzeltäter sorgen, wie die Tragödie im Nachtklub La Pulse zeigt.

Die USA scheinen derzeit Sehschwächen auf beiden Augen zu haben: Das rechte Auge ist blind für die Gefahren des freien Waffenzugangs, das linke für das Radikalisierungspotenzial schlecht integrierter und ideologisch fehlgeleiteter Muslime. Amerika wird sich mit dem radikalen Islamismus auch auf eigenem Boden auseinandersetzen müssen. Verliert es dabei das Augenmaß, verspielt es seinen größten Vorteil: seine Offenheit.

E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Außenpolitik

Obama fordert nach Orlando Verschärfung der Waffengesetze

Der US-Präsident fordert, dass sich der Ton in der politisch aufgeladenen Debatte über das Thema ändert.
Trauernde in Orlando.
Außenpolitik

Ehefrau des Todesschützen droht Anklage wegen Mittäterschaft

Noor S. soll von den Plänen ihres Mannes gewusst haben. Sie chauffierte ihn zum Klub. Am Mittwoch schon könnte Anklage gegen sie erhoben werden.
Weltjournal

Jubel über 9/11, Schläge für die Frau, Flirten in Schwulenklubs

Omar Mateen war ein zutiefst gespaltener Mann. Aussagen ehemaliger Schul- und Arbeitskollegen zeichnen das Bild eines Einzelgängers. Seine Ehefrau wusste von den Anschlagsplänen.
Zeugen behaupten, der Omar Mateen sei öfters im "Pulse" gewesen.
Weltjournal

War der Attentäter mehrmals im "Pulse" zu Gast?

Zeugen geben an, Mateen öfters in dem Schwulenklub gesehen zu haben. Ein Mann behauptet, mit dem späteren Attentäter per Dating-App gechattet zu haben.
Trauerfeiern für die Opfer.
Außenpolitik

Orlando-Geiseln stellten sich tot - und überlebten

Ein 52-Jähriger und seine Freundin entkamen Omar M. bei dem Attentat in Florida nur knapp. In einer Toilette versteckt, mussten sie den Horror um sich mit anhören.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.