Die Entzauberung des italienischen Sonnyboys

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Der Sieg der Fünf-Sterne-Bewegung in Rom und Turin hat bewiesen: Die optimistische Rhetorik des selbstbewussten Renzi überzeugt nicht mehr.

Den „Beginn einer neuen Ära“ verspricht Fünf-Sterne-Star Virginia Raggi, die designierte neue Bürgermeisterin der Ewigen Stadt. Die Anwältin und politische Novizin will im tief verschuldeten, durch und durch korrupten und chronisch ineffizienten Rom alles anders und besser machen. Wie ihr das gelingen soll, bleibt die große Frage – im Wahlkampf hat sie es jedenfalls nicht verraten. Mit ähnlich vagen Versprechen einer radikalen Erneuerung eroberte Chiara Appendino die sozialdemokratische Hochburg Turin. Sie war ebenso wie Raggi bisher eine unbekannte Kämpferin in den Reihen der Anti-alles-Bewegung des autoritären Polit-Clowns Beppe Grillo.

Ankündigungen radikaler Umwälzungen sind in Italien weder neu noch originell und auch nicht wirklich beruhigend: Davon gab es in den vergangenen Jahrzehnten mehr als genug – auch Silvio Berlusconi versprach bei seinem Amtsantritt 1994, alles auf den Kopf zu stellen, mit katastrophalen Folgen. Der letzte selbst ernannte „Revolutionär“ kam übrigens gerade erst vor zweieinhalb Jahren an die Macht: Damals machte sich Matteo Renzi selbst zum Regierungschef und verkündete, den Typus des althergebrachten Politikers verschrotten zu wollen. Nun wurde er selbst von den Grillini verschrottet, als Repräsentant des verhassten Ancien Régime.

Denn auch wenn Renzi die Bedeutung der Niederlage herunterspielte, ging es bei dieser Wahl wohl um mehr als nur Lokalpolitik: Raggis und Appendinos eklatante Erfahrungslosigkeit und Unbekanntheit erwiesen sich als ihr überzeugendstes Argument. Sie gewannen nicht wegen ihrer de facto inexistenten Programme. Sie wurden gewählt, weil sie nach außen hin rein gar nichts mit der althergebrachten Politik gemein hatten. Einer Politik, die im Auge des Wählers in Rom mit enger Mafiaverflechtung und in Turin mit der Freunderlwirtschaft einer jahrelangen Linksdominanz in Verbindung gebracht wird.

Die beiden Grillo-Frauen präsentierten sich geschickt als Vertreter der Vox populi, als „ganz normale Durchschnitts-Italienerinnen“. Und stellten sich damit erfolgreich als Antithese zum Renzianimus dar: einer als fremdbestimmt empfundenen wirtschaftsliberalen, proeuropäischen Politik, gewürzt mit einer ordentlichen Portion Selbstdarstellung. Der Premier lässt bekanntlich keine Gelegenheit aus, sich zum Alleinretter Italiens hochzustilisieren.

Wobei Renzis hyperaktive Politik der Alleingänge durchaus Ergebnisse produzierte: Er legte sich mit der Linken in den eigenen Reihen an und setzte Reformen durch, unter anderem die Lockerung des Arbeitsmarktgesetzes. Doch der Premier schaffte es trotz großer Ankündigungen nicht, den Aufschwung herbeizuzaubern. Es ist kein Zufall, dass die Linksdemokraten just in den Metropolen die heftigste Ohrfeige erhalten haben: Hier ist die Krise stark zu spüren.

Die harte Realität der Politik – inklusive der innerparteilichen Machtkämpfe – hat also den einstigen Sonnyboy Renzi entzaubert: Seine optimistische Rhetorik und sein überbordendes Selbstbewusstsein überzeugen nicht mehr, sie gehen vielen auf die Nerven.


Und das ist keine gute Nachricht. Denn die Lokalwahl hat den gefährlichsten Aspekt der italienischen Polit-Anomalie zum Vorschein gebracht: Zum Mitte-links-Block – derzeit verkörpert durch Renzi – gibt es keine gemäßigte Alternative: Grillos straff geführte „Internet-Partei“ bleibt trotz des moderaten Faceliftings während der Lokalwahl ein Auffangbecken für Extremisten und Protestwähler. Grillo, der keinen Widerspruch seiner Mitglieder duldet, zeigte sich bisher unwillig und unfähig, auf nationaler Ebene produktiv zu kooperieren. Rechts der Linksdemokraten zerfleischt sich Silvio Berlusconis populistische Rechte gerade selbst in Führungskämpfen, und die ausländerfeindliche Lega Nord, drittstärkste nationale Kraft, plant neben EU- und Euro-Austritt auch immer wieder ein unabhängiges Norditalien.

Vielleicht wäre Italien tatsächlich reif für eine Revolution. Aber diesmal für eine Umwälzung ohne Getöse, Selbstdarstellungsdrang und Zerstörungswut: Das Land braucht dringend eine erfolgreiche rechtsliberale Partei. Und Renzi einen glaubhaften Gegner.

E-Mails an: susanna.bastaroli@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2016)

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