Ein Angriff auf die Türkei und ganz Europa

(c) APA/AFP/OZAN KOSE
  • Drucken

Um die jihadistische Gefahr besser bekämpfen zu können, sollte Ankara Frieden mit den Kurden schließen. Die Europäer müssen der Türkei dabei helfen.

Es ist ein Schlag gegen eines der Nervenzentren der Türkei. Der Atatürk-Flughafen in der pulsierenden Metropole Istanbul ist das wichtigste Eingangstor in das Land und zugleich eine moderne Brücke zwischen Ost und West. Hier machen Millionen von Menschen auf ihrer Reise zwischen Europa und Asien halt, werden gigantische Mengen von Gütern transportiert. Das verheerende Attentat auf den Atatürk-Flughafen ist damit auch ein Schlag gegen die international vernetzte Welt, ein Angriff auf ganz Europa.

Nach dem Anschlag in Brüssel ist es Terroristen zum zweiten Mal innerhalb von Monaten gelungen, ein Blutbad auf einem europäischen Flughafen anzurichten. Während der Terror in Brüssel und Paris die ganze Aufmerksamkeit von Europas Öffentlichkeit fand, war das bei Terror in Istanbul bisher nicht der Fall. Dabei wurde die Stadt am Bosporus dieses Jahr nun zum wiederholten Mal Ziel von Attentaten.

Die Türkei, ein Nato-Staat und EU-Beitrittskandidat an der Südflanke der Europäischen Union, droht immer tiefer im Strudel aus Attentaten und politischer Gewalt zu versinken. Die türkische Regierung steht vor zwei massiven Sicherheitsproblemen, die sie offenbar nur schwer zu lösen vermag: dem Kampf gegen jihadistische Organisationen wie dem sogenannten Islamischen Staat (IS) und einem Aufstand in den vor allem von Kurden bewohnten Gebieten im Osten des Landes.

Die Jihadisten benutzten die Türkei zunächst als Ruheraum und Aufmarschgebiet für Operationen in Syrien – und das allem Anschein nach mit der Zustimmung höchster Kreise in Ankara. Denn die Syrien-Politik des türkischen Präsidenten, Recep Tayyip Erdoğan, war lange Zeit auf ein Ziel fokussiert: den Sturz des syrischen Machthabers, Bashar al-Assad.

Noch bevor der IS und seine Vorgängerorganisation Isis offiziell aktiv wurden, sickerten über die türkische Grenze Kämpfer nach Syrien ein, um die Reihen der Rebellen aufzufüllen. Dass viele davon im extremistischen Spektrum der breit gefächerten, bewaffneten syrischen Opposition Unterschlupf fanden, spielte in Ankara offenbar kaum eine Rolle: Hauptsache, die Schwierigkeiten für das brutale syrische Regime wurden größer.

Abgesehen vom Kampf gegen Assad verfolgte die Türkei in Syrien ein zweites Ziel: die Schwächung der de facto eigenständigen Kantone, die im vor allem von Kurden bewohnten Norden eingerichtet worden sind. Dieses Autonomieprojekt auf der anderen Seite der Grenze steht unter der Führung syrischer Schwesterorganisationen der kurdischen Untergrundorganisation PKK. Ankara stufte es als größere Gefahr ein als die Bedrohung durch Jihadisten. In der Schlacht um Kobane etwa setzte die türkische Regierung zunächst auf den IS – in der Hoffnung, er würde Syriens kurdischen Kräften den Garaus machen. Eine schwere strategische Fehlkalkulation.

Das Wiederausbrechen des Kurden-Konflikts in der Türkei hat die Lage weiter verschärft. Im Osten des Landes herrscht de facto Krieg: Türkisches Militär greift mit Panzern aufständische kurdische Städte an, Zivilisten sterben, Zehntausende sind auf der Flucht. In den Bergen toben Gefechte mit PKK-Kämpfern. Zugleich haben bizarre Terrorsplittergruppen wie die Freiheitsfalken Kurdistans (TAK), mit denen die PKK zumindest offiziell nichts zu tun haben will, den Konflikt in Großstädte wie Ankara und Istanbul getragen. Sie verüben dort Attentate, denen auch Zivilisten zum Opfer fallen.

Es ist hoch an der Zeit, dass der Friedensprozess wiederbelebt und ein Ausgleich mit den Kurden gefunden wird. Dafür sollte die türkische Regierung auch den Einfluss der prokurdischen Parlamentspartei HDP nutzen, statt diese in die Illegalität zu drängen. Und auch die USA und die europäischen Staaten sollten sich in diesem Prozess stärker engagieren. Damit könnte wenigstens eines der Sicherheitsprobleme gelöst werden. Denn die Bekämpfung der jihadistischen Bedrohung ist ohnehin weitaus schwieriger. Aber auch hier muss der Westen mit der Türkei zusammenstehen: im Interesse der Türkei, aber auch im ureigensten Interesse der EU, die es sich nicht leisten kann, dass der Partner an seiner Südflanke ins Chaos kippt.

E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.