Peking macht sich in der Region nicht beliebter, wenn es auf das Recht des Stärkeren setzt. Es sollte das Urteil zum Südchinesischen Meer akzeptieren.
Wochenlang schon zieht Peking alle Register. Lautstark rühren Chinas Medien die Propagandatrommeln. Es ist die immer gleiche Botschaft, die sie chinesischem und internationalem Publikum vermitteln wollen: China wird die Entscheidung des Ständigen Schiedshofs in Den Haag zum Südchinesischen Meer nicht anerkennen. „Nicht mehr als ein Stück Papier“ sei der heute erwartete Richterspruch, sagte Ex-Staatsrat Dai Bingguo.
Um seinen „historisch begründeten“ Ansprüchen Nachdruck zu verleihen, setzte Peking in der vergangenen Woche noch eines drauf: Im medialen Rampenlicht übte die Volksbefreiungsarmee Lufteinsätze, Seeschlachten und U-Boot-Kämpfe.
Mit seiner Meinung steht China weitgehend auf verlorenem Posten. Statt seine Energie in Imagepolitur zu stecken, sollte Peking aktiv an der viel beschworenen Stabilität in der Region arbeiten – und das Urteil akzeptieren, wenn es als weltweit ernst zu nehmender Partner anerkannt werden will. Das ist nicht einfach. Denn das Den Haager Gericht wird Chinas Ansprüchen auf die umstrittenen Riffe und Sandbänke und seiner jahrelang praktizierten Politik des Stärkeren mit großer Wahrscheinlichkeit eine Abfuhr erteilen. Die fünf Richter werden vermutlich nicht nur den Philippinen, die 2013 gegen den Giganten im Norden Klage erhoben haben, sondern auch anderen Anrainerstaaten, allen voran Vietnam, den Rücken stärken.
Das Tribunal könnte Geschichte schreiben. Denn es entscheidet über das Machtgefüge im Südchinesischen Meer und indirekt über die Geschwindigkeit des chinesischen Aufstiegs. In dem mehrere Millionen Quadratkilometer großen Areal geht es um mehr als Fischgründe und Rohstoffe. Das Seegebiet ist so etwas wie der maritime Superhighway des Welthandels und gleichzeitig als Verbindung zwischen Indischem Ozean und Pazifik militärisch von extrem hoher Bedeutung. Seit Jahren – insbesondere seit dem neuen außenpolitischen Fokus der USA auf Asien – schafft China daher Tatsachen. Um die Eindringlinge in seinem Hinterhof im Zaum zu halten, setzt es auf Seepatrouillen, Landaufschüttungen, die Errichtung von Militärstützpunkten und Marinemilizen, seine blauen Männchen. Zudem sperrte sich Peking stets gegen eine Internationalisierung des Konflikts. Es pochte auf bilaterale Gespräche. Wohl auch, um sich im Rennen mit den USA in der Region zu behaupten.
Nun schwört Peking auf eine ähnliche Verzögerungstaktik. Indem die KP-Führung den Spruch nicht akzeptiert, will sie einen Präzedenzfall schaffen: Gegen den Willen eines derart mächtigen Landes sollte die Durchsetzung solcher Urteile nicht möglich sein. Das Gericht dürfe nicht über Territorialkonflikte entscheiden, argumentiert Peking. Das übersteige die Zuständigkeiten der UNO-Seerechtskonvention. Doch der Schiedshof urteilt nicht, wem die Felsen gehören. Manila will klären lassen, ob die Landerhebungen überhaupt als Inseln anzusehen sind. Wenn nicht, wären Pekings Besetzungen illegal.
Indem China verweigerte, einen Richter für das fünfköpfige Gremium zu entsenden, nahm es sich selbst aus dem Spiel. Der weitere Umgang mit dem Urteil ist nun ein Lackmustest dafür, wie sich China entwickelt – zu einer globalen Führungsnation, die sich an internationales Recht hält, oder zu einer Supermacht, die bereit ist, einseitige Schritte gegen seine Nachbarn zu setzen. Entscheidet sich Peking für Letzteres, bricht es nicht nur das Seerechtsübereinkommen, das es vor mehr als 20 Jahren unterzeichnet hat. Auch die milliardenschweren Versprechen im Rahmen der Neuen Seidenstraße, eines gigantischen Infrastruktur- und Investitionsprojekts, könnten dann auf der Suche nach Bündnispartnern nur begrenzt helfen: Trotz seiner politischen Nähe hat sich Vietnam bereits von seinem kommunistischen Nachbarn distanziert – und stattdessen heftig mit seinem ehemaligen Erzfeind, den USA, geflirtet.
Die Chinesen werden sich in der Region nicht beliebter machen, wenn sie auf das Recht des Stärkeren setzen. So laden sie ihre amerikanischen Konkurrenten, die es mit dem Völkerrecht auch nicht immer so genau nehmen, förmlich als Schutzmacht in die Arena ein.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.07.2016)