Natürlich unterstützt Erdoğan Islamisten, er ist ja selbst einer

Überraschung, Überraschung: Das deutsche Innenministerium bezeichnet die Türkei als „zentrale Aktionsplattform“ für islamistische Gruppen in Nahost.

Einen großen Erkenntnisgewinn brachte die Antwort des deutschen Innenministeriums auf die Anfrage der Linken-Abgeordneten Sevim Dağdelen nicht. Staatssekretär Ole Schröder (CDU) gab zu Protokoll, was ohnehin jeder weiß: „Als Resultat der vor allem seit 2011 schrittweise islamisierten Innen- und Außenpolitik Ankaras hat sich die Türkei zur zentralen Aktionsplattform für islamistische Gruppen des Nahen und Mittleren Ostens entwickelt.“ Der einzige Überraschungseffekt bei der Verlautbarung des Offensichtlichen bestand darin, dass die Stellungnahme als vertraulich eingestuft war.

Wobei, wirklich überraschend ist die Geheimniskrämerei nicht: Über Jahre hinweg haben sich Regierungsverantwortliche von Berlin bis Washington hasenfüßig davor gehütet, krasse Fehlentwicklungen in der Türkei beim Namen zu nennen. Niemand wollte den strategisch wichtigen Partner in Ankara verprellen. Auch wenn Präsident Erdoğan in die falsche, nämlich in die autoritäre und islamistische Richtung zog: Die Diplomaten in den westlichen Staatskanzleien wollten wenigstens verhindern, dass er ungezügelt davongaloppierte. Denn man hat die Türkei gebraucht, so wie man sie auch heute braucht: in der Flüchtlingskrise, als Pufferstaat zum zerfallenden Nahen Osten, als Exportmarkt. Geografische Fakten lassen sich nicht abstreifen wie alte Hemden oder lästige Freundschaften, sie sind unverrückbar, prägen nationale Interessen, so auch das Verhältnis zum Land am Bosporus.

Die Türkei ist ein Zwitterwesen, mit einem Bein in Europa, mit dem anderen in Asien, auf halbem Wege bei der von Staatsgründer Atatürk zwangsverordneten Säkularisierung. Der Aufstieg Erdoğans war das Ergebnis einer gewaltigen Gegenreaktion auf die vom Militär abgesicherte Herrschaft unfähiger laizistischer Eliten. Erdoğan kam als Reformer nach oben. Und, weil er Kreide gefressen hatte, um sich mehrheitsfähig zu machen.

Die islamistischen Wurzeln des Volkstribunen liegen klar auf der Hand. Sein politischer Ziehvater war Necmettin Erbakan, Millî-Görüş-Führer und Gründer mehrerer Parteien, aus deren Asche 2001 Erdoğans AKP hervorging. Das Eigentümliche an der Entwicklung der türkischen Islamisten war, dass sie nie in den Untergrund gingen, sondern sich nach jedem Parteiverbot neu formierten und dabei jeweils moderater gaben. Am Ende schwamm die AKP im Mainstream und lockte anfangs auch Mitglieder aus liberalkonservativen Parteien an.

In ihrem Kern aber blieb die Führungsriege um Erdoğan stark islamisch geprägt. Je weiter sie das Militär zurückdrängte, desto offener trat das islamistische Erbe zutage. Die ideologische Nähe zur Muslimbruderschaft, die das deutsche Innenministerium nun konstatiert, war schon 2006 unübersehbar, als Erdoğan für die radikale Palästinenserorganisation Hamas den roten Teppich ausrollte. Im Arabischen Frühling stellte er sich auf die Seite der ägyptischen Muslimbrüder, denen er auch nach dem Sturz ihres Präsidenten, Mohammed Mursi, die Stange hielt. Nicht zuletzt unterstützte die Türkei islamistische Gruppen, um den syrischen Präsidenten, Bashar al-Assad, zu Fall zu bringen. Die Behörden sahen jahrelang tatenlos zu, wie jihadistische Kämpfer über die Türkei nach Syrien einreisten, auch zum IS. Die Politik der weit offenen Drehtür für Gotteskrieger und deren Schmuggelware endet erst, als der IS Anschläge auf türkischem Territorium verübte.

Erdoğan ist ein Islamist, doch im Vergleich zu saudischen Wahhabiten immer noch ein gemäßigter, der zwar, wie jetzt nach dem gescheiterten Putsch, keine Scheu vor willkürlichen Verhaftungen und autoritärer Repression kennt, aber demokratische Legitimität genießt. Und der, wie sein Tauwetter mit Russland und Israel zeigt, fähig ist, erstaunlich pragmatisch und wendig zu agieren.

Kann so jemand als vollwertiges Mitglied am Tisch der EU sitzen? Nein. Kann man mit so jemandem zusammenarbeiten? Wenn es Vorteile bringt: ja. Sollte der Westen dazu übergehen, künftig nur noch mit Westminster-Demokraten zu reden, wird das im Monolog enden. Das sollte aber nicht daran hindern, Wahrheiten wie Erdoğans Hang zum Nationalislamismus offen zu thematisieren.

E-Mails an:christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.08.2016)

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