Hier muss ein jeder nach seiner Façon

(c) Katharina Fröschl-Roßboth
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Wie viel „neue“ Aufklärung braucht der Mensch? Am besten versetzt man sie reichlich mit Humanismus, spürt ihre Widersprüche auf und vergisst auch nicht auf den maßvollen Begriff Toleranz.

Die interessanten Zeiten, die wir derzeit durchleben, in denen enorme globale Bevölkerungsbewegungen den seit mindestens 20 Jahren prognostizierten „Kampf der Kulturen“ zu bestätigen scheinen, lassen Leitartikler ab einem gewissen Punkt fast schon routiniert zu einer Verteidigung der „westlichen Werte“ flüchten. Stellen wir diesen Kunstgriff der Einfachheit halber gleich an den Anfang. Fassen wir Mut und loben die Aufklärung, die Stimme der Vernunft als eine rein europäische Angelegenheit. Schließlich erwähnen wir noch Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und behaupten, dass diese Slogans auf unserem dem Atlantik zugeneigten Rand des eurasischen Kontinents immer schon Priorität besessen haben. Die Französische Revolution, die solchen Idealen zum Durchbruch verhelfen sollte, hat zwar neben emanzipatorischen Bestrebungen auch noch ihr immanente, gewalttätige Auswüchse an das lange 19. und das schreckliche 20. Jahrhundert weitergegeben. Darüber aber wollen wir hier lieber nicht reden, darüber muss man schweigen.

Dennoch: Wer wird nicht das edelste Erbe des 18. Jahrhunderts bewahren wollen? Sir Karl Popper hat es empfohlen, wenige Jahre nach Beendigung wirklich finsterer Zeiten, beim Europäischen Forum Alpbach. Pflichtschuldig wie jeder gute Rationalist zitierte er einen Königsberger Professor für Logik und Metaphysik. Im Geiste Immanuel Kants empfahl er (es herrschte bereits wieder globales Wettrüsten) Mut zum Verstand, zur Selbstbefreiung. „Sapere aude!“ Aber ist diese fromme Denkungsart ein Wagnis, das exklusiv und immerwährend einem privilegierten Teil unserer vom Fortschritt getriebenen Welt zugeordnet werden soll? Der erfolgreichen Emanzipation weniger bürgerlicher Gesellschaften von Feudalismus und Religion, die im scheinbar festen Glauben an Technologie und Wachstum mündete? Nein, Aufklärung ist nicht exklusiv westeuropäisch, keine französische, englische, schon gar nicht – um etwas näher an Asien zu rücken – rein deutsche Spezialität. Man kennt diese stets durch Rückschläge gefährdete Art von Lebensprinzip seit Jahrtausenden – im Griechischen, im Persischen, Arabischen . . .

„Anything goes“ und die Aufklärung

Besser noch als nur mit dem grenzenlosen Wort Freiheit verbindet man die Aufklärung mit dem maßvollen Begriff Toleranz oder der befreienden, fast noch mittelalterlichen Geisteswissenschaft namens Humanismus. Dann ergibt sich ein Muster, das erkennen lässt, um wie viel kleiner der Fortschritt ist, den Idealisten immer schon ersehnt haben. Die würden für solch ewigen Frieden nämlich auch über Leichen gehen. Was also zeichnete die europäische Aufklärung aus? Sie war eine hoffnungsvolle Epoche, in der neben rein mechanistischen Welterklärungsmodellen und zarten Ansätzen zu evolutionären Gedanken auch stille Strömungen wie Empfindsamkeit oder Nischenprogramme wie der Pietismus Raum fanden. Fast könnte man meinen, im 18. Jahrhundert gab es weitaus mehr Menschen als heute, die eine hübsche Variante von „Anything goes!“ kannten. Als der preußische König Friedrich II., ein Absolutist in seinem Widerspruch, um eine Entscheidung gebeten wurde, ob katholische Schulen wieder abgeschafft werden sollten, schrieb er an den Rand dieser Eingabe: „Die Religionen Müßen alle Tolleriret werden und Mus der Fiscal nuhr das Auge darauf haben, das keine der andern abruch Tuhe, den hier mus ein jeder nach seiner Faßon Selich werden. Fr.“

Solche Gelassenheit wäre unseren Bürokraten und Entscheidungsträgern zu empfehlen. Vielleicht sollten wir auch, um zu einer spannenden, empfindsamen Rezeption der alten Aufklärung zu kommen, die zu einer angeblich neuen Aufklärung führt, einfach die wesentlichen literarischen Werke lesen, die all jene reizvollen Widersprüche der Epoche spiegeln. Geistvolle Briefwechsel zwischen Friedrich II. und Voltaire wären ein Anfang, oder paradoxe Romane, die satirisch in Frage stellen, ob wir wirklich in der besten aller Welten leben. Vielleicht sollte man (um zum angeblichen „Kampf der Kulturen“ zurückzukommen) Asylsuchenden auf dem Weg zur Integration mehr als nur Sprachkurse anbieten. Wie wäre es mit der fakultativen Teilnahme an Aufführungen von Lessings „Nathan der Weise“ in ihrer Muttersprache? Kaum ein anderes dramatisches Werk der Aufklärung zeigt so klar, wie mühsam es scheint und wie leicht es ist, den anderen zu akzeptieren.

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