Wie man dem Demagogen in Budapest auf den Leim geht

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Das Referendum ist eine Farce, Ungarns krawalliger Nationalismus gestrig. Die Forderung nach einem EU-Rauswurf hilft aber niemandem außer Orbán.

Luxemburgs Außenminister, Jean Asselborn, hat der EU mit seiner Forderung nach einem Rauswurf Ungarns einen Bärendienst erwiesen. Sein Griff zum diplomatischen Megafon nutzte genau jenem Mann, dem er damit schaden wollte: Viktor Orbán. Der populistische Aufschrei aus dem Großherzogtum zwang Amtskollegen quer durch Europa, Solidarität mit dem EU-Mitglied Ungarn zu bekunden. Vor allem aber kann Orbán nun Asselborns Angriff innenpolitisch ausschlachten. Vor dem Referendum über Flüchtlingsquoten zimmert der Premier ohnehin am Feindbild Brüssel. Die Forderung eines EU-Rauswurfs Ungarns fügt sich in die Erzählung von der abgehobenen Brüsseler Elite, die das große Ungarn kleinhalten will. Einen Anfang machte bereits gestern Außenminister Péter Szijjártó: „Man merkt, dass Asselborn nicht weit von Brüssel entfernt zu Hause ist, denn er ist arrogant und frustriert“, erklärte der Chefdiplomat gewohnt undiplomatisch.

Asselborns Angriff kommt für Orbán zur rechten Zeit. Denn Ungarns Referendum über die EU-Flüchtlingsquoten könnte für die Regierung zum Rohrkrepierer werden. Die nötige Wahlbeteiligung von 50 Prozent wackelt. Deshalb arbeitet Orbán nun mit noch mehr Verve daran, die Gleichung Migranten = Terroristen in den Köpfen der Ungarn zu verankern.

Diese Abstimmung war von Beginn an eine Farce: Sie ist rechtlich belanglos, die Frage über EU-Flüchtlingsquoten suggestiv formuliert und der Grund für das Referendum überholt, da die Aufteilung der Asylwerber per Quote in Europa praktisch gescheitert ist. Das dürfte mittlerweile auch dem einen oder anderen Wähler dämmern.

Das Referendum wirkt wie ein allzu plumper Versuch Orbáns, das Flüchtlingsthema weiter oben auf der Agenda zu halten – und die Blicke von der umstrittenen Gesundheits- und Bildungspolitik und von den Berichten über Günstlingswirtschaft im Dunstkreis des Regierungschefs wegzulenken.

Korruption ist die Achillesferse des Systems Orbáns. Der talentierte Instinktpolitiker weiß zugleich, dass sich seine Popularität zu einem guten Teil aus seinem Antimigrationskurs speist, seinem Nationalismus. Orbán pendelt dabei zwischen markigen, zum Teil rassistischen Sprüchen und dem Bedienen der historischen Opferrolle Ungarns.

Heute werde der Staat eben von Brüssel unterjocht, so wie zuvor von den Sowjets, den Habsburgern und den Osmanen nach der Niederlage in der Schlacht bei Mohács 1526. Das ist die große Erzählung des Viktor Orbán. Dabei ist auch die ungarische Geschichte vielschichtiger: Die Ungarn waren meist Unterdrückte, aber auch Unterdrücker, wie der slowakische Nachbar weiß. Und in einem Treppenwitz der Geschichte flüchteten Ungarns größte Freiheitshelden, Lajos Kossuth und Franz II. Rákóczi, vor den Habsburgern just ins Osmanische Reich, ins Land der Muslime. Auch die Gegenwart ist komplizierter, als es Orbán mit Pauschalurteilen wie „Migration ist Gift“ vorgaukelt. Zugleich ist aber auch die Antwort auf Ungarns holzschnittartigen, klerikal gefärbten Nationalismus komplexer, als es Asselborn mit der populistischen Rauswurf-Forderung verkauft.


Die EU täte gut daran, wie bisher Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, falls Ungarn tatsächlich EU-Recht bricht – anstatt wie Asselborn gleich mit dem Äußersten zu drohen. Brüssel sollte also genau jene Rechtsstaatlichkeit vorführen, die in Ungarn leidet. In einem Punkt liegt Asselborn aber richtig: Dass Sanktionen nur bei Einstimmigkeit der restlichen EU-Mitglieder verhängt werden können, ist zu überdenken. Orbán-Ungarn und Kaczyński-Polen können sich so bei der Aushöhlung des Rechtsstaats gegenseitig die Mauer machen.

Im Interview geißelte Asselborn auch Orbáns Grenzregime: „Ungarn ist nicht mehr weit weg vom Schießbefehl gegen Flüchtlinge“, sagte er. Das mag überzogen sein. Dass Migranten am Grenzzaun regelmäßig von Polizisten geprügelt und von Hunden gebissen werden sollen, hat aber auch nichts mit den christlichen Werten zu tun, die Orbán vorgibt zu verteidigen.

Mails an:juergen.streihammer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2016)

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