Alternder Kontinent der Kleinmütigen

(c) REUTERS
  • Drucken

Politische Energie ist in Europa nur noch messbar, wenn es darum geht, etwas zu verhindern, wie die Freihandelsabkommen mit den USA oder Kanada. Im Destruktiven aber liegt keine Kraft.

Unbegründeter Überschwang und planlose Begeisterung schlagen rasch in Enttäuschung um. Wer leichtfertig naiv-euphorische Slogans verbreitet, die großen Versprechen aber nicht einlösen kann, erntet binnen kürzester Zeit Missmut und Zorn. Barack Obamas „Yes, we can“ klingt acht Jahre später wie ein fernes Echo aus einer versunkenen Welt nach, als man noch an Heilsbringer glaubte. Und die Halbwertszeit von Angela Merkels „Wir schaffen das“ war angesichts ihres offensichtlichen Kontrollverlusts in der Flüchtlingskrise wohl noch geringer.

Doch ganz ohne Zuversicht wird Europa seine Herausforderungen auch nicht meistern können. Derzeit regieren Kleinmut und Verzagtheit den Kontinent, nicht zuletzt in Österreich. Messbare politische Energie wird in dem negativ gepolten Umfeld meist nur noch dann freigesetzt, wenn es darum geht, etwas zu verhindern. Davor scheint auch Österreichs neuer Bundeskanzler nach nur wenigen Monaten im Amt nicht gefeit. Außenpolitisch trat er bisher vorwiegend als Blockierer in Erscheinung, als Befürworter eines Abbruchs der EU-Verhandlungen mit der Türkei und als Gegner der EU-Freihandelsabkommen mit Kanada (Ceta) und den USA (TTIP). Beide Positionen sind populär, aber nur eine ist nachvollziehbar: Ein Beitritt der Türkei wäre für die EU in absehbarer Zeit nicht verkraftbar, weder politisch noch wirtschaftlich. Bei Ceta verhält es sich anders: Warum sich der Regierungschef eines exportabhängigen Landes in letzter Minute nach sieben Jahren Verhandlungen gegen ein Handelsabkommen stemmt, das Wachstum und Arbeitsplätze bringt, entzieht sich einer rationalen Erklärung. Wäre es nicht verantwortungsvoller, Überzeugungsarbeit zu leisten, anstatt Ängste zu schüren?

Manische Abwehr

Europa – auch Österreich – zeigt Symptome alternder Gesellschaften, die sich vor technologischem, wirtschaftlichem und sozialem Wandel fürchten. Sowohl bei Ceta als auch bei TTIP ist garantiert, dass europäische Standards nicht unterschritten werden. Das ändert trotzdem nichts an der geradezu manischen Abwehr der Abkommen. Auf Dauer werden dieser überbordende Bewahrungsdrang und diese ablehnende Grundhaltung zum Stillstand führen. Gemeinwesen, die im Neuen immer zuerst die Gefahr sehen, stagnieren fast zwangsläufig. Da müssten Mutmacher und Erklärer an der Spitze der Staaten stehen.

Nein, Euphoriker wären nicht gefragt, sehr wohl aber Optimisten, die vernünftige Wege weisen – mit klaren Zielen und definierten Etappen. Der jüngste EU-Gipfel in Bratislava gibt diesbezüglich wider Erwarten Hoffnung. Diesmal versuchten die EU-Granden gar nicht erst den großen Wurf, die institutionellen Reformen nach dem Brexit. Sie begnügten sich mit konkreten Vorhaben, um die EU-Außengrenze zu schützen, die Migrationskrise in den Griff zu bekommen, die Terrorgefahr zu senken und die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Das ist ein nüchternes Programm, aber machbar. Im Destruktiven liegt keine Kraft. Es wäre hilfreich, wenn Politiker für das Gestalten eine ebenso große Leidenschaft aufbrächten wie für das Verhindern.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.