Ambivalente Signale vom Wiener Ballhausplatz

Chancellor Christian Kern
Chancellor Christian Kern(c) REUTERS (LUCAS JACKSON)
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Kanzler Kern hat gerufen, Merkel & Co. kommen zum Flüchtlingsgipfel. Die Energie, die er ins Ceta-Nein steckt, wäre gerade bei diesem Thema angebracht.

Auch wenn es nicht hilft, so schadet es wenigstens nicht. Diese in Österreich nicht fremde Redens- und Handlungsweise könnte recht gut das als Flüchtlingsgipfel vermarktete Samstag-Meeting Christian Kerns mit Angela Merkel, acht anderen Regierungschefs und EU-Kommissionsbeteiligung charakterisieren.

Vielleicht nützt ja der ebenfalls erwartete EU-Ratspräsident, Donald Tusk, während der paar Stunden in Wien die Gelegenheit, am Ballhausplatz dem zaudernden Kern nebenbei die Vorteile von Ceta, dem unterschriftsfertig verhandelten Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, auch und gerade für das Exportland Österreich zu übersetzen. Wie auch immer, der Bundeskanzler wird diese Gelegenheit sicher nicht verstreichen lassen, die Bilder des Treffens für sich auf Instagram, Facebook etc. zu nützen.

Was auffällt: Bei dem Treffen ist zwar im Gegensatz zum Balkangipfel von Außenminister Sebastian Kurz der griechische Premier, Alexis Tsipras, mit dabei. Italiens Regierungschef Matteo Renzi, gern mit Kern verglichen, fehlt aber. Dabei scheint auf der Balkanroute mittlerweile weitgehend Beruhigung eingetreten zu sein – im Gegensatz zu Italien, das sich (abermals) mehr und mehr zum Hotspot entwickelt.

Während am Tag vor diesem Treffen die Polizei ein Platzverbot um die Hofburg anordnete und die Einsatzpläne für die Zusammenkunft der Regierungschefs finalisierte, waren Einsatzkräfte ungefähr 2000 Kilometer südöstlich von Wien damit beschäftigt, einen Toten nach dem anderen aus dem Mittelmeer zu ziehen. Die Zahl der offiziell vor der ägyptischen Stadt Alexandria als ertrunken Gemeldeten hat sich fast stündlich erhöht und bewegt sich mittlerweile jedenfalls im dreistelligen Bereich. Wieder einmal war ein mit Flüchtlingen über die Kapazitätsgrenze überladenes Schiff auf der Fahrt Richtung Europa gekentert.

Die Flüchtlings- und Migrationspolitik hat sich spätestens im vergangenen Jahr als die große Schwachstelle der diesbezüglich von den Nationalstaaten meist im Stich gelassenen EU erwiesen. Weitergehende verbindliche Schritte, wie sie heute in Wien natürlich bestenfalls postuliert werden können, wären längst Gebot der Stunde. Stichworte: Verbesserungen der (auch und vor allem finanziellen) Hilfe in den Ausgangspunkten der Flucht, des Kampfs gegen Schlepper, des Schutzes der EU-Außengrenze und endlich auch eine faire Verteilung jener Flüchtlinge, die es nach Europa geschafft haben.

Um beim letzten Punkt zu bleiben. Vielleicht denkt Kern nach seinem heutigen Balkangipfel ja gelegentlich über einen Visegrádgipfel nach. Gerade die Staaten Osteuropas zeigen bisher wenig bis gar keine Bereitschaft, Flüchtlinge aufzunehmen. Oder, ein Schuss Polemik sei gestattet, wartet Kern wieder, wie beim Thema Balkanroute, bis sein als von der SPÖ ausgemachter Gegenspieler in der ÖVP, Sebastian Kurz, auch auf diesem Gebiet initiativ wird?

Jedenfalls wäre dieselbe Energie, die der SPÖ-Vorsitzende für den Widerstand gegen ein Handelsabkommen aufwendet, in der Flüchtlingspolitik angebracht. Die Signale, die Kern bei Ceta aussendet, sind, positiv ausgedrückt, ambivalent: Einerseits ein wirtschaftsfreundliches Klima herbeizureden und sich andererseits offenbar an der unsichtbaren Kette der Gewerkschaft zu befinden, wie es Kern vielleicht aus seiner Zeit als ÖBB-Chef kennt, verträgt sich schlecht.

Und da ist noch der bemerkenswerte Schulterschluss mit der „Kronen Zeitung“, die seit Längerem gegen TTIP, das Abkommen mi den USA, und Ceta kampagnisiert. Kern wolle dem „ungezügelten Kapitalismus“ von Großkonzernen einen Riegel vorschieben, heißt es dort neuerdings. Er verdiene volle Unterstützung. Nun ja. Kern und „Kronen Zeitung“ – die mit dem damaligen Bundeskanzler Werner Faymann eine Art Symbiose eingegangen war –, dieses Verhältnis erschien noch zu Beginn der neuen Ära als schwierig. Nun könnte der herbeigeschriebene und -gespinte Kapitalismuskampf Kerns den Beginn einer wunderlichen Freundschaft markieren.

E-Mails an:dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2016)

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