Wiener Bescheidenheit

(c) APA/AFP/JOE KLAMAR
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Ohne große Erwartungen keine großen Enttäuschungen. Beim Wiener Flüchtlingsgipfel wurde Bekanntes präsentiert. Am meisten beeindruckte die Teilnehmer, dass offen geredet wurde. Immerhin.

Nein, der große Kern-Merkel-Plan ist es nicht geworden. Aber Erfolg ist immer auch eine Frage der Relation. Weil ohnehin keiner mit bahnbrechenden Beschlüssen gerechnet hatte, waren die Teilnehmer des Wiener Flüchtlingsgipfels bereits stolz – zumindest betonten das mehrere Politiker gleich mehrfach –, dass zumindest offen geredet wurde. Das kommt offenbar selten vor.

Bereits im Vorfeld wurde analysiert, dass die Regierungschefs vor allem deshalb nach Wien reisten, um Signale an die Bevölkerung daheim abzusetzen: Seht her, wir managen die Krise. Beziehungsweise im Fall von Viktor Orbàn: Seht her, wie wichtig das Thema ist, also kommt nächsten Sonntag zur Ungarn-internen Abstimmung über die EU-Pflichtquoten für Flüchtlinge (auch wenn die eh nicht auf dem Tapet sind, aber egal). Selbst der Gastgeber, Bundeskanzler Christian Kern, hatte seine Agenda: international sichtbar werden. Kern, der einen Gutteil seiner Flüchtlingspolitik von Werner Faymann geerbt hat (und das Kunststück vollbracht hat, im Gegensatz zu diesem dafür nicht kritisiert zu werden), steht immer noch im Schatten von Außenminister Sebastian Kurz. Dieser war zwar zum Gipfel nicht geladen, aber dort dennoch präsent: Immerhin ging es auch um die einst auf „seinem“ Gipfel fixierte Schließung der Balkan-Route. Zunächst heftig kritisiert, gilt sie inzwischen als Common sense. Da ist es fast ein bisschen ein Treppenwitz, dass Angela Merkel, einst Gegnerin der Schließung, sich jetzt quasi beschwert, dass diese nicht dicht genug ist. Es kämen immer noch zu viele Asylwerber nach Deutschland.

Solidarität, aber welche?

Inhaltlich wurden in Wien vor allem bekannte Maßnahmen vorgestellt – mit Ausnahmen: Bei seiner eigenen Pressekonferenz plädierte Orbàn für ein Flüchtlingslager in Libyen – das ist jedoch faktisch schwer vorstellbar. Was er auch klarmachte: Dass er die EU-Grenze de facto nördlich von Griechenland sieht. Apropos Grenzen: Dass beim Gipfel ein Fokus auf gemeinsamer Grenzsicherung lag, ist gar nicht so „no-na“, wie es klingt. Zur Erinnerung: Vor gar nicht allzu langer Zeit empfanden die Binnenländer der EU die Sicherung der Außengrenzen als exklusive Aufgabe der Peripherie. Erst als Staaten wie Griechenland Flüchtlinge in den Norden durchwinkten, rief man: Solidarität! Und meinte damit freilich bloß: Solidarität bei der Aufteilung der Flüchtlinge. Doch Solidarität gibt es nur als Gesamtpaket. Grenzschutz, Aufteilung der Flüchtlinge, Hilfe vor Ort – das sind kommunizierende Gefäße. Weil sich Zusammenhalt in der EU aber nicht erzwingen lässt, ist das Konzept der flexiblen Solidarität der Visegrád-Gruppe ein Ansatz. Wenn auch kein perfekter. Denn wenn jedes Land frei entscheidet, wie es seinen Beitrag leistet (Grenzsicherung, Flüchtlinge aufnehmen etc.), kaufen sich am Ende einige frei. Und andere finden, dass es reicht Zäune zu bauen. Das ist mehr Notlösung als Lösung.

Fairer ist es, wenn alle alles mitragen. Insofern ist eine Beteiligung Österreichs an der Grenzsicherung korrekt, auch wenn die Gefahr „hässlicher Bilder“ (Copyright: Kurz) besteht. Besser transparent zeigen, was passiert, als sich abputzen, wegschauen. Denn das macht die Welt auch nicht schöner.

ulrike.weiser@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2016)

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